Plattenkritik: Shinetiac – Infiltrating Roku City (West Mineral Ltd.) - Sampledelia und die roten Rosen der Verpeilung

Shinetiac erfinden den Ambient-Floor neu. Als ich mich damals vorsichtig, sozusagen mit improvisierten Dreirad, der elektronischen Tanzmusik und Clubkultur näherte, landete ich oft genug auf dem Chill-Out-Floor. Durchballern und loslassen war wunderbar, durchballern und fallen lassen aber noch viel besser. Es war die Zeit, in der Ambient noch nicht bedeutete, sich wie in einem Zirkuszelt bei warmen Bier benehmen zu müssen. Es war vielmehr die Zeit, als diese Floors Orte des Müßiggangs und des Experiments waren, wo genauso Beats laufen konnten wie endloses Gezirpe. Alles eine Frage der Interpretation. Sanft dies? Sanft das? Sanft alles, was denn sonst. Das neue Album von Shinetiac erinnert mich an diese Zeiten. Das ist kein Zufall: Shiner, Pontiac Streator und Ben Bondy spielen ganz bewusst mit der durchatmenden Vergangenheitsversion des „Chillens“, was auch immer das genau bedeutet, heute wie damals. Und auch damit, wie genau dieses musikalische Grundgefühl heute klingen kann, könnte und müsste. In der fast direkten 1:1-Adaption oder im Gegenlicht der Gegenwart. Diese Gegenwart spiegelt sich weniger in den Sounds, als in den immer wieder mal rein und raus wankenden Beats und (Vocal-)Samples, die dann eben nicht „Body & Mind“ hauchen, sondern sich in ganz bewusst gepickten popmusikalischen Referenzen manifestieren. Diese Samples müssen nicht zwingend Samples im klassischen Sinne sein, verschwommene Adaptionen setzen die Produzierenden ebenfalls ein. Dabei liegt der Fokus von „Infiltrating Roku City“ tatsächlich auf der Idee der verschwommenen Unschärfe. Schicht um Schicht des Sounds gilt es zunächst abzutragen, um schließlich den Anker im Morast des Vergänglichen werfen und sich einrichten zu können – vielleicht bleiben wir ja länger. Und so löst sich Track für Track die Realität Stück für Stück auf, der Horizont kippt in herrlicher Zeitlupe auf die Seite. Ganz so, wie es sein muss und damals schon war. Denn ob das Blubbern, das Rauschen und das Flüstern nun von links oder rechts kommt, war schon früher nicht wichtig. Eher im Gegenteil. Kam es nicht mehr aus den vermeintlich richtigen Positionen des physikalisch Bestätigten, war die Welt plötzlich strukturierter denn je.

Mar 28, 2025 - 14:30
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Plattenkritik: Shinetiac – Infiltrating Roku City (West Mineral Ltd.) - Sampledelia und die roten Rosen der Verpeilung
Plattenkritik Shinetiac Infiltrating Roku City Banner

Shinetiac erfinden den Ambient-Floor neu.

Als ich mich damals vorsichtig, sozusagen mit improvisierten Dreirad, der elektronischen Tanzmusik und Clubkultur näherte, landete ich oft genug auf dem Chill-Out-Floor. Durchballern und loslassen war wunderbar, durchballern und fallen lassen aber noch viel besser. Es war die Zeit, in der Ambient noch nicht bedeutete, sich wie in einem Zirkuszelt bei warmen Bier benehmen zu müssen. Es war vielmehr die Zeit, als diese Floors Orte des Müßiggangs und des Experiments waren, wo genauso Beats laufen konnten wie endloses Gezirpe. Alles eine Frage der Interpretation. Sanft dies? Sanft das? Sanft alles, was denn sonst.

Das neue Album von Shinetiac erinnert mich an diese Zeiten. Das ist kein Zufall: Shiner, Pontiac Streator und Ben Bondy spielen ganz bewusst mit der durchatmenden Vergangenheitsversion des „Chillens“, was auch immer das genau bedeutet, heute wie damals. Und auch damit, wie genau dieses musikalische Grundgefühl heute klingen kann, könnte und müsste. In der fast direkten 1:1-Adaption oder im Gegenlicht der Gegenwart. Diese Gegenwart spiegelt sich weniger in den Sounds, als in den immer wieder mal rein und raus wankenden Beats und (Vocal-)Samples, die dann eben nicht „Body & Mind“ hauchen, sondern sich in ganz bewusst gepickten popmusikalischen Referenzen manifestieren. Diese Samples müssen nicht zwingend Samples im klassischen Sinne sein, verschwommene Adaptionen setzen die Produzierenden ebenfalls ein. Dabei liegt der Fokus von „Infiltrating Roku City“ tatsächlich auf der Idee der verschwommenen Unschärfe. Schicht um Schicht des Sounds gilt es zunächst abzutragen, um schließlich den Anker im Morast des Vergänglichen werfen und sich einrichten zu können – vielleicht bleiben wir ja länger.

Und so löst sich Track für Track die Realität Stück für Stück auf, der Horizont kippt in herrlicher Zeitlupe auf die Seite. Ganz so, wie es sein muss und damals schon war. Denn ob das Blubbern, das Rauschen und das Flüstern nun von links oder rechts kommt, war schon früher nicht wichtig. Eher im Gegenteil. Kam es nicht mehr aus den vermeintlich richtigen Positionen des physikalisch Bestätigten, war die Welt plötzlich strukturierter denn je.