Experimentierfeld der Interkulturalität - Über das Wonderfruit Festival in Thailand
Das thailändische Wonderfruit-Festival ist mehr als ein Musikereignis. Seit zehn Jahren gilt es als Vorreiter für Nachhaltigkeit und eine musikalische Annäherung von Ost und West – die Raum zum Entdecken lässt. Natalie Mayroth war für uns vor Ort. Meterhohe Fahnen in leuchtenden Rot- und Gelbtönen weisen den Pfad in eine andere Welt: Sanft wehen sie in der warmen Luft über dem Siam Country Club im Osten Thailands. Wer diese Schwelle einmal überschreitet, wird das Gelände so schnell nicht wieder verlassen – zu verlockend ist der mitreißende Sound, der aus verschiedenen Ecken strömt und in dieser Vielfalt in Europa selten zu hören ist. Im zehnten Jahr seines Bestehens öffnete sich Ende Dezember erneut die Parallelwelt von Wonderfruit: „Es ist das am meisten erwartete Festival der elektronischen Musikszene in Südostasien“, sagt DJ Elaheh, eine feste Größe in Bangkoks elektronischer Underground-Szene. Mit über 25.000 Besucher:innen aus 125 Ländern ist Wonderfruit längst kein Boutique-Festival, sondern ein vier Tage dauerndes musikalisches Abenteuer, das Kunst, Kultur und Lebensfreude vereint. Nicht ohne Grund gilt Wonderfruit als Vorreiter für interkulturelle Klangfusionen mit nachhaltigem Anspruch. Auch wenn es manchmal wie eine hedonistische Social-Media-Kulisse wirkt, ist es vor allem eines: einzigartig. In dieser grünen Oase, in der Einwegplastik tabu ist und Abfall recycelt wird, treffen Künstler:innen, Kreative, Musikfans und Influencer aus Ost und West aufeinander, um elektronische Musik, traditionelle Kultureinflüsse aus Asien und experimentelle Sounds miteinander verschmelzen zu lassen. „Wonderfruit ist zu einer Marke geworden, die für mehr als Musik steht“, sagt Elaheh Khodayar, die das Festival von Anfang an begleitet hat. Doch 2023 war für sie besonders: Zum ersten Mal legte sie auf einer der Hauptbühnen, The Quarry, auf – eine durch ihre leuchtenden Kreiselemente auffallende Stage, versteckt in einem kleinen Tal, perfekt kuratiert, um Nächte durchzutanzen. Nach meiner Wonderfruit-Erfahrung vor sechs Jahren, in der mir The Quarry gut im Gedächtnis blieb, war ich gespannt, wie sich das Festival weiter entwickelt hatte. Manche Bühnen erkannte ich wieder, aber vieles war neu. Die Zahl der Besucher:innen stieg und die Soundpalette wurde ergänzt durch ein großes Mosaik aus Kollaborationen, die die regionale Musikszene über Landesgrenzen hinweg prägt. Seit der Pandemie haben sich die verschiedenen Musikszenen in Thailand, Vietnam, Japan und anderen Nachbarstaaten stärker vernetzt, nicht zuletzt, da weniger internationale Künstler:innen nach Asien kamen. Selbstentfaltung mit IV-Drips Der Name des berüchtigten nahe gelegenen Badeorts Pattaya ist längst nicht mehr das Einzige, was der Region vorauseilt. Wonderfruit ist eine Plattform und ein sicherer Raum für cis-Frauen, LGBTQ+ und diverse Acts. Passend dazu feierte Thailand nach dem Festival seine ersten legalen gleichgeschlechtlichen Ehen – neben Taiwan und Nepal das dritte Land in Asien mit einer Ehe für alle. Queere Kultur war aber auch schon vorher fester Bestandteil von Wonderfruit. Während sich das Programm tagsüber auf Wellnessangebote und Workshops konzentrierte, erwachte nach dem Sonnenuntergang das Leben. So auch in der Molam World, der Bühne, um Thaikultur näher zu erleben und zu Bands wie der Paradise Bangkok Molam International Band zu tanzen. Der Höhepunkt zum Morgengrauen erwartete alle Wonderer an der hölzernen Solar-Stage, wo das Closing-Set von Emel Rowe B2B Saint Guel, die auf den Philippinen leben, am frühen Montag gespielt wurde. „Die Sichtbarkeit, die Wonderfruit Musiker:innen und DJs aus der Region bietet, ist wichtig“, betont Elaheh. Denn auch für sie war es eine Chance, von einem internationalen Publikum wahrgenommen zu werden. In Asien drehe sich der Hype oft um große Namen und Veranstalter verließen sich auf Headliner aus dem Westen, doch es brauche diese Namen nicht. Eine Erkenntnis, die Rahul Wani, der in Indien im Veranstaltungsbereich arbeitet, seit seinem Festivalbesuch teilt: „Sonst werden ein, zwei Künstler:innen groß angepriesen, aber an sich gab es kaum Headliner. Meine Erfahrung, Musik zu hören und zu entdecken, war dadurch eine andere, es ging ums Erleben“, sagt er. Vergleichbar mit Wonderfruit ist in seiner Heimat Magnetic Fields, das in der Peripherie rund um einen Wüstenpalast stattfindet, sich jedoch stark nach UK orientiert. Gründer Pete Phornprapha beschreibt in einem Interview sein Ziel, ein Gefühl von Ehrfurcht und Staunen zu schaffen. Und zwar durch eine Mischung aus spektakulärer Architektur wie der 2018 erstmals vom Architekten Gregg Fleishman designten Solar-Stage und einem vielfältigen Programm: von asiatischer Kochkunst über Printworkshops bis hin zu Flow-Yoga-Sessions, Kakao-Zeremonien und einer Station mit Vitamin-Infusionen. Mosaik aus Kollaborationen Doch der Wonderfruit-Kosmos hat mehr zu bieten: Auf dem Forbidden-Fruit-Floor herrschte Asian-Disco-Atmosphäre, angefacht von DJs wie den Japanern von


Das thailändische Wonderfruit-Festival ist mehr als ein Musikereignis. Seit zehn Jahren gilt es als Vorreiter für Nachhaltigkeit und eine musikalische Annäherung von Ost und West – die Raum zum Entdecken lässt. Natalie Mayroth war für uns vor Ort.
Meterhohe Fahnen in leuchtenden Rot- und Gelbtönen weisen den Pfad in eine andere Welt: Sanft wehen sie in der warmen Luft über dem Siam Country Club im Osten Thailands. Wer diese Schwelle einmal überschreitet, wird das Gelände so schnell nicht wieder verlassen – zu verlockend ist der mitreißende Sound, der aus verschiedenen Ecken strömt und in dieser Vielfalt in Europa selten zu hören ist. Im zehnten Jahr seines Bestehens öffnete sich Ende Dezember erneut die Parallelwelt von Wonderfruit: „Es ist das am meisten erwartete Festival der elektronischen Musikszene in Südostasien“, sagt DJ Elaheh, eine feste Größe in Bangkoks elektronischer Underground-Szene. Mit über 25.000 Besucher:innen aus 125 Ländern ist Wonderfruit längst kein Boutique-Festival, sondern ein vier Tage dauerndes musikalisches Abenteuer, das Kunst, Kultur und Lebensfreude vereint.
Nicht ohne Grund gilt Wonderfruit als Vorreiter für interkulturelle Klangfusionen mit nachhaltigem Anspruch. Auch wenn es manchmal wie eine hedonistische Social-Media-Kulisse wirkt, ist es vor allem eines: einzigartig. In dieser grünen Oase, in der Einwegplastik tabu ist und Abfall recycelt wird, treffen Künstler:innen, Kreative, Musikfans und Influencer aus Ost und West aufeinander, um elektronische Musik, traditionelle Kultureinflüsse aus Asien und experimentelle Sounds miteinander verschmelzen zu lassen. „Wonderfruit ist zu einer Marke geworden, die für mehr als Musik steht“, sagt Elaheh Khodayar, die das Festival von Anfang an begleitet hat. Doch 2023 war für sie besonders: Zum ersten Mal legte sie auf einer der Hauptbühnen, The Quarry, auf – eine durch ihre leuchtenden Kreiselemente auffallende Stage, versteckt in einem kleinen Tal, perfekt kuratiert, um Nächte durchzutanzen.
Nach meiner Wonderfruit-Erfahrung vor sechs Jahren, in der mir The Quarry gut im Gedächtnis blieb, war ich gespannt, wie sich das Festival weiter entwickelt hatte. Manche Bühnen erkannte ich wieder, aber vieles war neu. Die Zahl der Besucher:innen stieg und die Soundpalette wurde ergänzt durch ein großes Mosaik aus Kollaborationen, die die regionale Musikszene über Landesgrenzen hinweg prägt. Seit der Pandemie haben sich die verschiedenen Musikszenen in Thailand, Vietnam, Japan und anderen Nachbarstaaten stärker vernetzt, nicht zuletzt, da weniger internationale Künstler:innen nach Asien kamen.
Der Name des berüchtigten nahe gelegenen Badeorts Pattaya ist längst nicht mehr das Einzige, was der Region vorauseilt. Wonderfruit ist eine Plattform und ein sicherer Raum für cis-Frauen, LGBTQ+ und diverse Acts. Passend dazu feierte Thailand nach dem Festival seine ersten legalen gleichgeschlechtlichen Ehen – neben Taiwan und Nepal das dritte Land in Asien mit einer Ehe für alle. Queere Kultur war aber auch schon vorher fester Bestandteil von Wonderfruit.
Während sich das Programm tagsüber auf Wellnessangebote und Workshops konzentrierte, erwachte nach dem Sonnenuntergang das Leben. So auch in der Molam World, der Bühne, um Thaikultur näher zu erleben und zu Bands wie der Paradise Bangkok Molam International Band zu tanzen.
Der Höhepunkt zum Morgengrauen erwartete alle Wonderer an der hölzernen Solar-Stage, wo das Closing-Set von Emel Rowe B2B Saint Guel, die auf den Philippinen leben, am frühen Montag gespielt wurde.
„Die Sichtbarkeit, die Wonderfruit Musiker:innen und DJs aus der Region bietet, ist wichtig“, betont Elaheh. Denn auch für sie war es eine Chance, von einem internationalen Publikum wahrgenommen zu werden. In Asien drehe sich der Hype oft um große Namen und Veranstalter verließen sich auf Headliner aus dem Westen, doch es brauche diese Namen nicht. Eine Erkenntnis, die Rahul Wani, der in Indien im Veranstaltungsbereich arbeitet, seit seinem Festivalbesuch teilt: „Sonst werden ein, zwei Künstler:innen groß angepriesen, aber an sich gab es kaum Headliner. Meine Erfahrung, Musik zu hören und zu entdecken, war dadurch eine andere, es ging ums Erleben“, sagt er. Vergleichbar mit Wonderfruit ist in seiner Heimat Magnetic Fields, das in der Peripherie rund um einen Wüstenpalast stattfindet, sich jedoch stark nach UK orientiert.
Gründer Pete Phornprapha beschreibt in einem Interview sein Ziel, ein Gefühl von Ehrfurcht und Staunen zu schaffen. Und zwar durch eine Mischung aus spektakulärer Architektur wie der 2018 erstmals vom Architekten Gregg Fleishman designten Solar-Stage und einem vielfältigen Programm: von asiatischer Kochkunst über Printworkshops bis hin zu Flow-Yoga-Sessions, Kakao-Zeremonien und einer Station mit Vitamin-Infusionen.
Doch der Wonderfruit-Kosmos hat mehr zu bieten: Auf dem Forbidden-Fruit-Floor herrschte Asian-Disco-Atmosphäre, angefacht von DJs wie den Japanern von Monkey Timers oder Kenji Takimi. Diese Bühne war das Ergebnis einer Kollaboration mit dem Rainbow Disco Club-Festival aus Japan, dem Bangkok Community Radio und der Hongkonger Musikagentur FuFu. Sie war mit dem Tri-Motion System von VOID acoustics ausgestattet. „Das Lineup von Wonderfruit ist aufregend. Es ist nicht nur hervorragend organisiert, sondern bringt unterschiedliche Menschen zusammen. Ich schätze die thailändische Kultur sehr“, sagt Veranstalter und Booker Sumit Vaswani aus Mumbai. Sein Besuch war mit einem Wiedersehen mit der Yeti Out-Crew (Silk Road Sounds) und DJs aus Ostasien verbunden, die verschiedene Genres verbinden. „Von Techno über Disco bis hin zu Karaoke war alles geboten“, sagt er. Ein Grund, warum Wonderfruit ganz oben auf seiner Liste von Events, neben Festivals wie Organik (Taiwan) oder Rainbow Disco (Japan) steht.
Einen Großteil seiner Zeit verbrachte Vaswani auf der Techno-Bühne Catch 428. Seit 2023 kuratiert das Team um Atsushi Maeda vom japanischen Festival Rural auf Wonderfruit diese Bühne, dessen Erscheinungsbild an die fünfstöckigen Pagoden Japans erinnert und akustische sowie visuelle Elemente meisterhaft miteinander verbindet. Sie holten nicht nur zahlreiche DJs aus dem ostasiatischen Inselstaat, sondern auch die in Chicago ansässige Techno-Ikone, DJ und Produzentin Hiroko Yamamura zum Wonderfruit, ebenso Aurora Halal, die beide mit harten, aber nachgiebigen Sets unter freiem Himmel überzeugten. Auch DJ Masda, der in Berlin ansässig ist, begeisterte das Publikum.
Ebenso spielte das Duo Calessi & Sarah Kreis auf der inzwischen legendären wandernden Bühne Polygon LIVE, die als offener Dom aus LED-Röhren erstrahlte. Ein Set, das ihnen für immer in Erinnerung bleiben wird – vom Vibe, der Qualität und der Produktion, so die beiden. 90 Lautsprecher an 26 Positionen sorgten für den perfekten Klang. „Das Line-Up wie das Publikum waren divers und generell steckte so viel Liebe in der Produktion: Der Sound war einfach on Point und das Licht der Wahnsinn“, sagt Wahlberlinerin Sarah Kreis.
Die beiden haben schon viele Festivals erlebt, doch seit ihrem Debüt gehört Wonderfruit zu ihren Favoriten, sagt Kreis. Im Vergleich zu Festivals in Deutschland oder Polen fiel ihr auf, dass das Publikum Zuhause oft homogener ist, als es in Thailand der Fall war. Auch die Auswahl asiatischer Künstler:innen sei in Europa rar, was Wonderfruit zu einer besonderen Erfahrung mache. „Die gute Infrastruktur ist zudem ein kleiner, aber feiner Unterschied zu Festivals wie der Fusion oder dem Burning Man.“
Das Polygon-Team um die Wahllondoner Hugo Heathcote, Archie Keswick und Nico Elliot kuratierten ein Klangerlebnis, das durch Acts wie Octave One (Detroit), Bestrip (Bangkok), Ground (Osaka), Stimming (Hamburg), Viken Arman (Paris/Berlin) und dem aus dem Kater Blau bekannten Kreuzberger DJ und Produzenten Buddy alias Kyong Sono bereichert wurde. „Das 360-Grad-Soundsystem meiner Heimstätte Polygon, das Live-Sets ermöglicht, bei denen jede Klangquelle im Raum platziert und bewegt werden kann, habe ich in dieser Form noch auf keinem anderen Festival erlebt“, sagt Buddy gegenüber Das Filter. „Wonderfruit ist kein Non-Stop-Rave, was auch nice ist, sondern Multi-Genre-Festival mit viel Fokus auf Workshops am Tag, vielseitigem Essen, beeindruckenden Bühnen und Kunstwerken“, was ihn dazu veranlasste auch tagsüber auf die Fields zu kommen.
„Für mich ist Wonderfruit ein asiatisches Festival, das westlichen Acts eine Plattform bietet, ihre Kunst auf dieser Seite des Erdballs zu präsentieren.“ Der Berliner DJ Barnet beschreibt Wonderfruit als „Klassentreffen der Szene“. 2024 waren etwas weniger als ein Drittel der Besucher:innen aus Thailand, gefolgt von Singapur, Hongkong, China, Indien, den USA und Japan. Unter ihnen: Huiyuan Sun alias Shy Beef aus der Tech-Metropole Shenzhen.
Im darauffolgenden Jahr kehrte er zurück und spielte auf der experimentelleren Neramit-Stage. Umgeben von schimmernden Vorhängen legte er ein Set auf, das stark an den CTM-Sound erinnerte, in das er Mandarin- und Kantonesisch-Songs aus den 90er- und 00er-Jahren blendete. Ein Set, das er so nicht in einer Clubnacht spielen würde, das aber zum Festival, zur Bühne passte. „In den Metropolen gibt es eine Nachfrage nach experimenteller Musik, die in China aber noch eine Nische ist“, sagt er. Clubs wie Oil Shenzhen oder Dada Beijing treiben diese Entwicklung voran.
Für Sun stimmte die Chemie zwischen Menschen und Musik. Die „Spielwiese für Außenseiter“ bot eine internationale Plattform für asiatische Underground-Musiker:innen wie ihn. „So entsteht eine tiefere Auseinandersetzung mit der lokalen Musikkultur – ein Experimentierfeld für Interkulturalität“, erklärt er. Besonders in Erinnerung blieb ihm das 90-minütige Techno-Set von Colin Bender, gespielt auf einem riesigen modularen Synthesizer. „Ein weiteres Highlight war das Set von Diskonnected, einem der besten Techno-DJs Taiwans, vielleicht sogar Asiens“, sagt er.
Dabei erinnert die Vorgeschichte des Festivals an das Drehbuch einer asiatischen Seifenoper: Ein junger Erbe kehrt nach seinem Auslandsstudium in seine Heimat zurück, übernimmt Verantwortung im Familienunternehmen und errichtet auf dem Gelände des familieneigenen Country Clubs ein nachhaltiges – und sehr angesagtes Musikfestival. Das Team dahinter legt spürbar Wert darauf, asiatischen Talenten eine Bühne zu bieten, auch wenn westliche Einflüsse das elektronische Genre noch dominieren. Die Berlin-Connection, die in den vergangenen Jahren prägend war, hat sich zuletzt nach Ostasien verlagert.
Das nächste Wonderfruit-Festival findet vom 11. bis 15. Dezember 2025 im Siam Country Club in Thailand statt.
Selbstentfaltung mit IV-Drips
Mosaik aus Kollaborationen
UK-Berlin-Connection