Geht das nur mir so?: "Wer immerzu raus aus der Komfortzone will, hat vielleicht gar keine"
In diesen wilden Zeiten wünscht sich Verena Carl eine warme Wanne und weiche Frotteehandtücher. Stattdessen soll sie ständig aus ihrer Komfortzone raus.

In diesen wilden Zeiten wünscht sich Verena Carl eine warme Wanne und weiche Frotteehandtücher. Stattdessen soll sie ständig aus ihrer Komfortzone raus.
He, du da! Ja, genau dich meine ich! Hast du eigentlich eine Komfortzone? Wo ist die, wie oft bist du da, was hast du da verloren? Vor allem, wie sehr schämst du dich dafür, auf einer Skala von eins bis zehn? Zwölf? Dann ist ja noch nicht alles verloren. Du musst da raus. Weißt du selbst, oder?
Komfortzonen sind Problemzonen? Von wegen!
Tut mir leid, dass ich dich hier so anschreie. Muss am Stress liegen. Ich werde nämlich selbst permanent aufgefordert, alles hinter mir zu lassen. Auf LinkedIn, bei Partygesprächen, überall sagt man mir, dass das Leben nur als Kette ständiger disruptiver Neustarts lebenswert ist. Von wegen: persönliches Wachstum. Komfortzonen sind bäh und damit die neuen Problemzonen.
Neulich erst erzählte eine Frau in einem Podcast davon, wie das bei ihr aussieht: bis zu ihrem 30. Lebensjahr zwischen Profisport, einem Job als Nuklearwaffensicherheitsexpertin und Unternehmensberatung über alle Kontinente gejettet, kurz mal Krise geschoben, als Gegenmittel dann alle Schweizer Alpenpässe mit dem Fahrrad gefahren. Das half. Als sie ihre eigene Firma gründete, ging es ihr gleich noch besser. Mir beim Zuhören nicht. Das K-Wort fiel in jedem zweiten Satz, ich wurde von Mal zu Mal kurzatmiger und musste an Brennballspiele aus meiner Grundschulzeit denken.
Atemlos in der Discomfort-Zone
Wie ich die Momente ersehnt hatte, in denen man mal auf muffigen Matten Pause machen durfte. Ehe man wieder losrasen musste, solange der Ball in der Luft war. Was die bewundernswerte Frau erzählte, klang für mich nach: Am besten gleich alle Matten links liegen lassen. Nicht nur die muffigen, auch die fluffigen. Renn weiter, es gibt hier nichts zu sehen.
Am Ende hatte ich nur noch einen Wunsch: Dass mich jemand an die Hand nimmt und mich freundlich zurück in meine eigene Komfortzone führt. Ich war da schon so lange nicht mehr, ich weiß gar nicht mehr, wie die aussieht.
Denn leider hat sich die ganze Welt in eine Discomfort-Zone verwandelt. Krisen, Kriege, Katastrophen, und nun leuchtet uns auch noch morgens wieder Donald Trumps warnlampenfarbener Haarschopf entgegen, wenn wir eine Nachrichten-App öffnen. Googelt man das Wort "Komfort", kommt die Zone übrigens als zweiter Ergänzungsvorschlag, gleich nach "Komfort Check-in DB". Die letzte Komfortzone Deutschlands: der ICE, der wegen Bauarbeiten kurz vor Spandau vermutlich zu einem unerwarteten Halt kommt …
Veränderungen sind wichtig – aber nicht um jeden Preis
Sich immer wieder mit Lust in Veränderungen hineinzuwerfen: Natürlich ist was dran an dieser Idee, etwas zu tun, das man noch nie gemacht hat. Die Tür zur eigenen Dachkammer aufzureißen und festzustellen: Eigentlich sitze ich in einem gottverdammten Palast, ich habe mich nur nie rausgetraut. Dauer-Stillstand tut nicht gut, nicht an Orten, nicht in Beziehungen, Jobs, in Sachen Überzeugungen.
Aber: Permanentes Gehetzt sein bekommt uns auch nicht. Wer immerzu raus aus der Komfortzone will, hat vielleicht gar keine. Jedenfalls keine wirklich einladende. Doch die brauchen wir. Eine Freundin erzählte mir neulich, wie gern sie an Wochenenden in ihre Heimatstadt fährt und dort Zeit mit ihrer Großfamilie verbringt, zu der auch zwei niedliche Kleinkinder gehören: "Da lasse ich mich so richtig beflauschen."
Willkommen in der Flauschzone
Ein herrliches Wort! Und deshalb habe ich sofort ein total rebellisches Lebensziel für mich formuliert: Rein in die Flauschzone! Da weiß ich, wo ich was finde, wo keine bösen Überraschungen auf mich warten, und wo ich mich zur Abwechslung mal so richtig gehen lassen darf. Wo ich sein kann, wie ich bin, nicht leisten, nichts lernen, nirgends hin muss. Für immer kann ich da sowieso nicht bleiben, das ist wie damals auf der muffigen Matte. Denn eines ist sowieso klar: Der nächste Ball fliegt ganz bestimmt.