Die Roland-Regel : Welche Frage mir hilft, Probleme anzusprechen – ohne Angst vor Streit

Streiten ist für unsere Autorin das Eisbad der Kommunikation: fühlt sich erst gut an, wenn man es hinter sich hat. Warum sie trotzdem ins kalte Wasser springt – und  ausgerechnet mit Talkshow-Moderatorin Birte Karalus auf Tauchgang geht. 

Apr 28, 2025 - 07:26
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Die Roland-Regel : Welche Frage mir hilft, Probleme anzusprechen – ohne Angst vor Streit

Streiten ist für unsere Autorin das Eisbad der Kommunikation: fühlt sich erst gut an, wenn man es hinter sich hat. Warum sie trotzdem ins kalte Wasser springt – und  ausgerechnet mit Talkshow-Moderatorin Birte Karalus auf Tauchgang geht. 

Ich beginne mit einem Geständnis: Ich hasse es, zu streiten. Früher hätte ich mit dieser Eigenschaft kokettiert, wäre stolz gewesen, dass ich nie für Disharmonie sorge, Drama Queen, nein, flüsterte die internalisierte Misogynie, so eine bist du nicht. Bei mir herrscht Frieden. Aber im Inneren tobt ein Kampf.

Denn: je älter ich werde, desto mehr ärgere ich mich. Über andere, vor allem aber über mich. Wenn ich in Situationen gerate, in denen ich gar nicht sein will, zum Beispiel. Wenn ich Dinge höre, die mich verletzen, sie aber herunterschlucke. Wenn ich mit roten Wangen und Sodbrennen nachhause gehe.

Ich weiß, dass es wichtig ist, zu streiten. Wichtiger denn je, seine Meinung zu sagen, erst recht, wenn sie der anderer widerspricht. Deswegen hat sich mein inbrünstiges "Ich hasse streiten" mittlerweile in ein kleinlautes "ich kann nicht streiten" verwandelt.

Erst neulich saß ich mit Schwiegereltern und -freunden beim Abendessen zusammen und berichtete von der Problematik. Mein Sitznachbar Roland schaute mich erstaunt an. Er – selbst Journalist – habe doch gerade das an seinem Beruf geliebt, das lebhafte Streiten, die Debatten in der Redaktion. Mir wird warm. Ja, genau, müsste ich das nicht eigentlich können? "Erst streitet man, danach geht man ein Bier zusammen trinken. Das ist doch die Hauptsache“, sagt er. Ich merke, wie der Satz nachwirkt. Das geht?

Birte Karalus: Lasst uns streiten!
"Lasst uns streiten!" von Birte Karalus, Ariston Verlag, 22 Euro
© Ariston

Als mir einige Tage später die Fahne von "Lasst uns streiten!" in die Hände fällt, komme ich aus der Sache nicht mehr heraus: Ich muss das lernen. Also rufe ich Birte Karalus an, die Autorin genannten Werks. Ihr Name kommt mir bekannt vor, sie ist ehemalige Talkshowmoderatorin, ein Job, der ihr den Spitznamen "Krawallus" einhandelte. Gefällt ihr nicht, erfahre ich, als ich sie darauf anspreche – mir dafür umso besser, schließlich will ich doch endlich mal auf Krawall gebürstet werden. "Ich mag auch keinen Streit“, enttäuscht Karalus mich. Doch Konflikte möge sie noch weniger.

Finde die Streitliesel in dir

Ich bin so harmoniesüchtig, dass ich es nicht mal aushalte, wenn andere sich streiten. Selbst, wenn sie, nach eigenen Aussagen, doch nur debattieren. Schneiden wir am Familientisch politische Diskussionen an, gehe ich in Habachtstellung – und versuche krampfhaft das Thema umzulenken. Frau Karalus glaubt, das liege auch am Geschlecht: "Insbesondere wir Frauen sind auf einer Autobahn unterwegs, die heißt: Streiten macht man nicht. Streiten ist unschön. Dann bist du eine Streitliesel. Das will keiner."  

Vermeidung ist die logische Konsequenz – aus Angst vor Fehlern, Liebesentzug, nicht zuletzt aber: vor Veränderung. Dabei könne diese durchaus positiv sein. Bestenfalls löst ein Streit Dinge auf, schafft Verständnis für unterschiedliche Lebenssichten, bringt uns weiter und sei dann, laut Karalus, sogar ein "Beziehungsverstärker".

Muss ich also erst einmal richtig streiten, um die Angst mit positiven Erfahrungen zu überschreiben? Ich sehe mich schon an einem Talkshowpult verstummen, während mein Gegenüber mich gegen die Wand redet. "Das ist emotionsgesteuertes Gezeter", hakt Karalus direkt ein, "das kennen wir als Streit“, so solle es aber gerade nicht sein. Der Gegenvorschlag lautet: Konflikte in Ruhe und Freundlichkeit angehen. Wer gute Argumente habe, brauche nicht laut werden. Das könnten Frauen ihrer Erfahrung nach sowieso besser als Männer. "Wir sind zwar konfliktscheu. Wenn wir in einen Konflikt reingehen, dann sind wir lösungsorientiert", teilt sie ihre Beobachtung. Es sei uns nur nicht bewusst.  

Im Laufe unseres Gesprächs merke ich Birte Karalus ihren Beruf als Mediatorin an. Sie gibt mir – auf Nachfrage – zwar auch konkrete Tipps (siehe Box). Doch statt sich einzumischen, bestimmt sie vor allem das Setting. Das beginnt schon sprachlich. Karalus nennt den Streit viel lieber Auseinandersetzung. Und betreibt eine offene Imagekampagne für letztere. 

Streiten beginnt mit einer Frage, die du dir selbst stellst 

Die beste Nachricht für mich: Streiten lernen bedeutet nicht learning by doing. Die wichtigste Trainingseinheit findet mit mir selbst statt. Dafür soll ich mir einen Konflikt vorstellen. Stichwort innerer Kampf. "Was wäre anders in deinem Leben, wenn dieser Konflikt gelöst wäre? Wie würdest du dich jeden Morgen, wenn du aufwachst, fühlen?", fragt Birte Karalus. Wenn das daraus entstehende Gefühl Motivation genug sei, hieße es: ab in den Ring. 

Im Ring boxt man selten gegen andere. Jedes Mal, wenn das Bauchgefühl anschlägt, man etwas sagen möchte, aber nicht tut, einen Streit vermeidet, kämpft man gegen sich. Wer streitet, lernt wiederum, für sich einzustehen. Der schönste Effekt für Karalus: "Man holt sich eine eigene Stimme". Klar könne das zunächst auf Widerstand stoßen. Ein Umfeld, das Komfort gewohnt ist, protestiert, wenn es ungemütlich wird. "Ihr ganzes System wird sagen: was passiert da gerade? Wieso machst du das?"

Doch auch das dürfte auf lange Sicht eine kleine Hürde sein: denn wer seine Bedürfnisse, Werte und Wünsche klar kommuniziert, schafft sich langfristig allein dadurch ein Umfeld, in dem es sich sicher streiten lässt. Das ist es, was Birte Karalus aus ihrer Talkshowzeit mitgenommen hat: "Ich möchte frei leben. Ich möchte freie Beziehungen haben. Und da muss es erlaubt sein, zu sagen, wenn man ein Problem hat." 

Nach dem Telefonat fahre ich zu meinen Eltern und erzähle ihnen von dem Gespräch. Später am Abend streiten wir uns. Ich fühle mich provoziert. Mein Vater grinst zufrieden. Ob es eine selbsterfüllende Prophezeiung ist oder er mich trainieren will – ich weiß es nicht. Aber wir trinken danach noch ein Bier zusammen.