Serientipp: „Adolescence“ auf Netflix – Ein vierteiliges Drama, das unter die Haut geht

„Adolescence“ auf Netflix – Eine Serie über einen Teenager, einen Mord und die unbequemen Wahrheiten unserer Zeit Ein Meisterwerk in vier Akten Mit Adolescence liefern Drehbuchautor Jack Thorne und Schauspieler Stephen Graham nicht weniger als ein Fernseh-Meisterwerk ab. In nur vier Folgen erschaffen sie ein bedrückendes, zutiefst bewegendes Drama über einen 14-jährigen Jungen, der wegen Mordes an seiner Klassenkameradin verhaftet... Weiterlesen

May 7, 2025 - 15:42
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Serientipp: „Adolescence“ auf Netflix – Ein vierteiliges Drama, das unter die Haut geht

Adolescence Netflix

„Adolescence“ auf Netflix – Eine Serie über einen Teenager, einen Mord und die unbequemen Wahrheiten unserer Zeit

Ein Meisterwerk in vier Akten

Mit Adolescence liefern Drehbuchautor Jack Thorne und Schauspieler Stephen Graham nicht weniger als ein Fernseh-Meisterwerk ab. In nur vier Folgen erschaffen sie ein bedrückendes, zutiefst bewegendes Drama über einen 14-jährigen Jungen, der wegen Mordes an seiner Klassenkameradin verhaftet wird. Was sich wie ein klassischer Krimi anhört, entpuppt sich schnell als eine psychologische, gesellschaftliche und emotionale Abrechnung mit der Gegenwart.

Jede Episode ist in einer einzigen ungeschnittenen Einstellung gedreht – eine filmische Meisterleistung, die für maximale Unmittelbarkeit sorgt. Man fühlt sich als Zuschauer förmlich eingesperrt in den Räumen, Beziehungen und Gefühlen der Figuren. Die Schauspielkunst, allen voran von Stephen Graham und dem jugendlichen Neuentdeckung Owen Cooper (!!), ist schlicht atemberaubend.

Adolescence @ Netflix – Ein schmerzhafter Anfang

Die Geschichte beginnt abrupt: Die Polizei stürmt das Haus der Familie Miller und nimmt den 14-jährigen Jamie unter Mordverdacht fest. Das Opfer ist seine Mitschülerin Katie. Obwohl Jamie seine Unschuld beteuert, sprechen die Beweise schnell eine eindeutige Sprache. Doch die Serie interessiert sich nicht für das „ob“, sondern für das „warum“.

Die ersten beiden Folgen spielen fast ausschließlich im Polizeirevier. Die Ermittler rekonstruieren minutiös den Tathergang. Dabei wird Jamie von seinem Vater Eddie (Stephen Graham) begleitet, der als sogenannter „appropriate adult“ fungiert. Die Tragödie entfaltet sich weniger durch äußere Eskalation als durch die innere Zerstörung eines Vaters, der seinen Sohn nicht mehr erkennt.


Eine digitale Welt, die Erwachsene nicht verstehen

Die Serie zeigt auf eindringliche Weise, wie weit Erwachsene vom digitalen Leben ihrer Kinder entfernt sind. Als der leitende Ermittler DI Luke Bascombe (großartig gespielt von Ashley Walters) beginnt, Jamies Social-Media-Beiträge zu analysieren, stößt er auf eine Parallelwelt aus Emojis, Kommentaren und Codes, deren Bedeutung sich erst durch seinen eigenen Sohn erschließt.

Hier öffnet sich der Blick auf eine toxische Online-Kultur, die Mädchen entwertet, Jungen radikalisiert und die Grenzen von Realität und digitaler Fiktion verschwimmen lässt. Namen wie Andrew Tate fallen – nicht, weil sie wichtig wären, sondern weil sie Symptom eines viel größeren Problems sind: einer stillschweigenden Kultur der Verachtung gegenüber Frauen.

Das Herz der Serie: Eine Therapiesitzung

Die vielleicht stärkste Episode der Serie ist die Dritte. Warnung: ich hatte fast durchgehend Gänsehaut und diese Episode begleitete mich noch etwas länger. Sie besteht fast vollständig aus einer Sitzung zwischen Jamie und der Kinderpsychologin Briony (gespielt von Erin Doherty). In einem fesselnden, emotional aufgeladenen Dialog nähert sich Briony dem Innersten des Jungen. Sie konfrontiert ihn mit Fragen, die er weder versteht noch beantworten will – und zwingt ihn gleichzeitig, sich mit den Widersprüchen seines Selbstbilds auseinanderzusetzen.

Dass der 15-jährige Owen Cooper hier in seiner allerersten Rolle so brilliert, ist kaum zu fassen. Er spielt Jamie nicht als Monster, sondern als Kind, das verloren ging – irgendwo zwischen gesellschaftlichen Erwartungen, digitaler Reizüberflutung und einem Mangel an echter Orientierung.

Adolescence @ Netflix – Keine einfachen Antworten

Die vierte und letzte Folge konzentriert sich auf die Familie, die mit dem Unbegreiflichen weiterleben muss. Es gibt keine klassischen Erklärungen: keine Gewalt in der Kindheit, keine dunklen Familiengeheimnisse. Adolescence (IMDB) weigert sich konsequent, dem Zuschauer einfache Auswege zu bieten.

Gerade diese Ambiguität macht die Serie so stark. Sie zwingt uns, die unbequemen Fragen zu stellen: Was geben wir Jungen mit auf den Weg? Wie soll gesunde Männlichkeit in einer Welt aussehen, in der Emotionen unterdrückt und Gewalt oft als einziger Ausweg dargestellt wird? Und wie lange werden noch Mädchen sterben, während wir versuchen, Antworten zu finden?

Ein schonungsloser Spiegel unserer Gesellschaft

Adolescence ist mehr als eine Krimiserie. Sie ist eine sozialpsychologische Analyse, eine emotionale Wucht und ein filmisches Experiment, das aufgeht. In nur vier Folgen entfaltet sich ein Universum aus Schmerz, Unverständnis, digitaler Isolation und hilfloser Liebe. Diese Serie bleibt im Gedächtnis. Nicht, weil sie laut ist – sondern weil sie in ihrer Stille schreit.

Serientipp: „Adolescence“ auf Netflix // Trailer: