Wie sich UX-Design durch KI verändert – Chancen & Herausforderungen #experiencecampfire

Es war ein sonniger Abend, zumindest bei mir in Nürnberg und die perfekte Kulisse für ein echt spannendes Experience Campfire. Wir hatten Vitali […]

May 2, 2025 - 09:33
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Wie sich UX-Design durch KI verändert – Chancen & Herausforderungen #experiencecampfire

Es war ein sonniger Abend, zumindest bei mir in Nürnberg und die perfekte Kulisse für ein echt spannendes Experience Campfire. Wir hatten Vitali Fischbein zu Gast. Er ist UX/CX Enterprise Coach, Human Centered AI Evangelist, Innovation & Tech Enthusiast – und ein unglaublich reflektierter Gesprächspartner, wenn es darum geht, wie sich das Berufsbild der UX-Designer:innen durch Künstliche Intelligenz gerade neu erfindet.

Vitali hat über 18 Jahre UX-Erfahrung und einen Weg hinter sich, der vom Kunsthobby über das Studium des Informationsdesigns an der HdM bis hin zu seiner aktuellen Rolle als „AI Enabler“ bei Bosch Digital reicht.

Human Centered AI

Vitali bezeichnet sich selbst als „Human Centered AI Evangelist” und betrachtet KI in seiner Arbeit aus zwei unterschiedliche Perspektiven:

  • UX for AI – Wie wir als UX-Designer:innen KI-basierte Produkte gestalten können.
  • AI for UX – Wie KI uns selbst bei unserer täglichen Arbeit unterstützt.

Vor allem “AI for UX” stand im Mittelpunkt dieses Campfires. KI kann UX-Design-Prozesse beschleunigen, uns auf neue Ideen bringen, uns sogar trainieren – aber nur, wenn wir verstehen, wie sie funktioniert und wo ihre Grenzen liegen.

Werkzeugkasten der Zukunft – KI entlang des Designprozesses  

Vitali sprach über die verschiedenen Phasen des UX-Prozesses, welche Tools dabei genutzt werden können und worin deren Nutzen liegt. Spannend fand ich seine Sichtweise, dass KI nicht nur Effizienzgewinne bedeuten kann, sondern auch einen Perspektivwechsel: Tools werden zu Denkpartnern, KI zu einem erweiterten Teammitglied.

Research: Vom Googlen zum Denken lassen

Die wohl sichtbarste Veränderung ist in der Research-Phase zu finden. Diese erstreckt sich von Desk Research bis hin zu UX-Research. Wo früher Google das Recherche-Tool Nummer eins war, arbeiten heute viele mit KI-Tools, um sich schnell in Fachdomänen einzuarbeiten. KI-Tools wirken sich am stärksten auf UX-Research-Prozesse aus. Sie unterstützen bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von UX-Research.

Tools:

  • Perplexity: Beantwortet komplexe Fragen mit klaren, zitierfähigen Quellen. Besonders hilfreich bei Markt- und Wettbewerbsanalysen.
  • agentgpt.io: Starten mit einem einfachen Ziel („Intent“) und entwickeln eigenständig Subfragen und Recherchestrategien.
  • Napkin AI: Erstellt schnell und automatisch Infografiken oder visuelle Zusammenfassungen – ideal, wenn es schnell gehen muss.
  • ChatGPT, Claude, DeepSeek: Leistungsfähige LLMs, die z. B. bei der Erstellung von Interviewleitfäden, Screenern oder Personas helfen.

Nutzen:

  • Zeitersparnis bei der Recherche und Interviewvorbereitung
  • Ideen- und Lückenfinder: KI hilft, Aspekte zu identifizieren, an die man nicht gedacht hätte
  • Risikominimierung: Durch bessere Vorbereitung auf User Interviews
  • Trainingspartner: KI kann auch Probanden simulieren und Interviews mit dir durchspielen

Ideation: Von Inspiration bis Komposition

Die Ideenfindungs-Phase wird durch KI visuell und spielerisch – aber auch hier mit klaren Unterschieden, je nach Tool. Vitali nennt die visuelle Unterstützung durch KI ein „Sprungbrett für wilde Ideen“ – ohne Anspruch auf Perfektion, aber mit viel Potenzial für Perspektivwechsel. Er sagte aber auch, dass KI selten die großen Ideen liefert. Diese entstehen bei ihm meist im Zusammenspiel zwischen ihm und der KI.

Tools:

  • ChatGPT-4 mit Bildfunktion: Erzeugt auf Basis von Prompts erste Visuals mit Character Consistency (z. B. für durchgängige Storyboards).
  • Midjourney: Bekannt für ästhetisch hochwertige Bilder, bietet Character Consistency
  • Adobe Firefly: Besonders stark bei der Umsetzung von Bildkompositionen nach Stil-Vorgaben. 

Nutzen:

  • Ideenvielfalt: Schnelle Exploration ungewöhnlicher Konzepte
  • Inspiration & Stilentwicklung: Visuelle Unterstützung auch für Menschen, die sich visuell nicht so gut ausdrücken können
  • Qualität durch Steuerung: Mithilfe von Bild-Referenzen, Stilen oder Scribbles lässt sich das Ergebnis zielgerichtet beeinflussen und so das Bild im Kopf auf den Bildschirm übertragen

Prototyping: Erste Schritte, aber noch keine echte Hilfe

Beim Prototyping ist der aktuelle Reifegrad der KI-Tools noch ausbaufähig. Vieles ist möglich, aber noch nichts wirklich überzeugend. Vitali beschreibt die Tools als “hilfreich für den Einstieg”, aber “nicht ausgereift für den finalen Entwurf”.

Tools:

  • Vizcom: Wandelt einfache Skizzen in visuelle Mockups um – besonders für Product Design interessant
  • Stable Diffussion: Bildgenerierung – besonders spannend für Product Design.
  • UIzard, Figma AI, UX Pilot: Generieren erste UI-Entwürfe auf Basis von Prompts oder Designsystemen – insgesamt noch wenig ausgereift
  • Firefly: hilfreich, um visuelle Assets schnell und qualitativ hochwertig zu generieren.

Nutzen:

  • Schnelles Explorieren von Varianten: Mehr Designs in kürzerer Zeit
  • Ausschuss reduzieren: Weniger Zeit mit nicht-funktionierenden Ideen verbringen
  • Den Anfang finden: KI-Tools können beim Prototyping erste Schritte übernehmen

Junge Talente und ein bald vergessenes Handwerk?

Ein Thema, das im Campfire lebhaft diskutiert wurde, war der Umgang mit KI durch unerfahrene UXler:innen. Vitali sieht hier eine große Gefahr: “Wenn man das Handwerk nie gelernt hat, kann man nicht beurteilen, wann die KI danebenliegt”. Sein Rat ist: erst verstehen, dann automatisieren. Erst selber denken, dann prompten. Erst beobachten, dann verbessern.

Trotz KI bleibt es weiterhin wichtig, dass man das Handwerk dahinter beherrscht. Außerdem ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass man die handwerklichen Fähigkeiten nicht verlernt. Nur wenn man sich in dem, was die KI für einen erzeugen soll wirklich auskennt, kann man auch beurteilen, ob die Ergebnisse verwendbar sind. 

Mit KI kann Jede:r UX-Design 

Wenn man oberflächlich einen Blick auf die neuen Tools wirft, dann kann man schnell auf den Gedanken kommen, dass es gar keine UX-Design-Expert:innen mehr braucht. In so manchen Unternehmen tappen Manager:innen in diese Falle und glauben, dass man darüber UX-Design einfach skalieren kann. 

Die Angst, ersetzt zu werden, betrifft aber nicht nur UX, sagt Vitali. Sie zieht sich durch alle Disziplinen. KI demokratisiert Werkzeuge und senkt Einstiegshürden. Aber: das bedeutet nicht, dass Expertise überflüssig wird.

Vitali betonte sehr deutlich, dass sich UX-Design neu erfinden muss – weg vom Erstellen, hin zum Orchestrieren. Wer nur noch “schöne” UIs baut, wird tatsächlich von KI überholt. Ästhetik ist zukünftig kein echtes Differenzierungsmerkmal, sondern ein Hygiene-Merkmal. Vitali sieht die zukünftige Rolle von UX-Designer:innen so:

  • Wir orchestrieren komplexe KI-gestützte Systeme.
  • Wir verstehen Bedürfnisse, Kontext, Emotionen.
  • Wir kuratieren die besten Ideen und Ergebnisse aus dem KI-Ausstoß.

KI kann immer besser Layouts erzeugen – aber sie kann keine emotionale Wirkung erzeugen. Im Gegenteil: Menschen erwarten immer öfter, dass gestalterische Assets generiert wurden und schätzen sie dadurch nicht mehr. Generierte Produktgestaltung erzeugt keine emotionale Wirkung. Was heute als „besonders“ empfunden wird, ist nicht die generierte Oberfläche, sondern die Story dahinter: Warum wurde etwas so gemacht? Was ist die Geschichte dahinter? UX-Designer:innen sind die Erzähler:innen dieses „Warum“.

Dazu kommt, dass es durch KI eine Vielzahl von neuen Produkten gibt, die eine Mensch-Maschine-Interaktion auf einem neuem Level mit sich bringen. Man denke nur an Roboter, die im Haushalt helfen können. Hier eine Gestaltung zu finden, die nicht unheimlich wirkt oder eine anderweitig negative Wirkung auf Menschen hat, erfordert UX-Designer:innen, die ihre emotionale Intelligenz ins Spiel bringen können.

Was macht Design in der KI-Epoche noch aus?

Im letzten Teil ging es dann ans Eingemachte: Was bedeutet gutes Design in einer Welt, in der Ästhetik per Mausklick generiert werden kann? Wo jede:r mit einem Prompt ein schickes Interface zaubern kann?

Vitali sagt: “Das Erleben wird wichtiger als das Erstellen. Emotionen, Kontextsensibilität und menschliches Feingefühl sind die neuen Goldstandards.”

Gute Produktgestaltung wird nicht mehr nur von ihrer Ästhetik geprägt. KI-Tools führen zu einem Überangebot von ästhetischen Produkten. Die Qualität einer Produktgestaltung wird zukünftig mehr durch die emotionale Wirkung definiert, die sie auf Menschen hat. Sie wird durch eine Nützlichkeit geprägt, in der echter Nutzen durch eine Anpassung der Produktgestaltung an die Bedürfnisse zur Laufzeit entsteht.

Mein Fazit

Ich bin aus diesem Campfire mit einem veränderten Verständnis für unser Handwerk gegangen. Digitales Gestalten im KI-Zeitalter ist nicht mehr nur Gestaltungshandwerk, sondern bedeutet vor allem, emotionale Intelligenz ins Spiel zu bringen. Es geht zukünftig weniger um die handwerklichen Schritte in der Entwurfsarbeit, sondern mehr um die Geschichte hinter einer Produktgestaltung und die Wirkung, die sie auf Menschen hat. Damit das gelingt, benötigen UX-Designer:innen weiterhin die passende Expertise und müssen aktiv daran arbeiten, diese zu erhalten.

Was mir das Campfire aber auch gezeigt hat, ist, dass KI vor allem bei textbasierten Aufgaben (z.B. im UX-Research) und bei Visualisierungen (z.B. bei der Gestaltung von Hardware-Produkten) produktiv eingesetzt werden kann. Für die automatisierte Gestaltung von digitalen User Interfaces oder echte Unterstützung von UX-Design im produktiven Alltag sind die KI-Tools schlicht noch nicht ausgereift genug. Aktuell unterstützen KI-tools vor allem einzelnen spezifischen Aufgaben, wie z.B. der Erstellung von Bildern oder der Visualisierung von Entwürfen in der klassischen Produktgestaltung.

Spannend war für mich auch die Perspektive auf Ästhetik. KI-Tools sorgen schon aktuell dafür, dass Menschen ihre Ideen ästhetischer visualisieren können. Es ist zu erwarten, dass die grundlegende Ästhetik von Produkten nur noch in geringem Umfang ein Alleinstellungsmerkmal für Produktgestalter:innen und UX-Designer:innen wird.

Egal ob UX-Designer:innen zukünftig handwerklich involviert sind, generieren lassen oder orchestrieren, es bleibt aus meiner Sicht aber weiterhin die ureigene Aufgabe von professionellen UX-Designer:innen Produkte so zu gestalten, dass positive Erlebnisse entstehen können. Die gestalterischen Mitteln dafür, ändern sich jedoch.

Vielen Dank

Ein herzliches Dankeschön an Vitali Fischbein für seine klugen Gedanken, seine Offenheit und die Tiefe, mit der er das Thema „Human Centered AI“ mit uns diskutiert hat. Danke auch an alle Teilnehmenden für die spannenden Fragen – und natürlich an unseren Sponsor cxomni, ohne den dieses Campfire nicht möglich gewesen wäre.