Die elektronische Patientenakte: "Das Leben in der Akte kommt erst mit einem selbst"

Nach über 20 Jahren Planung ist die elektronische Patientenakte für gesetzlich Versicherte gestartet. Was jetzt wichtig ist.

Mar 30, 2025 - 13:57
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Die elektronische Patientenakte: "Das Leben in der Akte kommt erst mit einem selbst"

Nach über 20 Jahren Planung ist die elektronische Patientenakte für gesetzlich Versicherte gestartet. Was jetzt wichtig ist.

Du willst keine Akte? Dann musst du aktiv bei deiner Krankenkasse widersprechen. Ansonsten ist die elektronische Patientenakte (ePA) jetzt für dich und rund 73 Millionen weitere Deutsche eingeführt. Aber das ist kein Grund zur Panik: Es wird noch dauern, bis die ersten Daten in Ihrer ePA landen. "Das Leben in der Akte kommt erst mit einem selbst. Man muss die behandelnden Ärzt:innen bitten, Daten und Dokumente hochzuladen, oder sich selbst darum kümmern", erklärt Silvia Thun, Ärztin und Ingenieurin für biomedizinische Technik von der Berliner Charité.

EPA – was genau ist das überhaupt?

Stellen Sie sich die ePA als eine Art digitalen Aktenordner vor. Seit Januar 2025 können dort Arztbriefe, Medikationspläne und künftig auch Labordaten, Röntgenbilder, Impfausweis, Zahn-Bonusheft und Mutterpass abgelegt werden – alles, was sonst in Papierform zu Hause oder in der Praxis im Patientenordner liegt. Nur: Ab sofort kann man auch unterwegs über eine App der Krankenkasse auf die Daten zugreifen.

Und was bringt mir die ePA?

Noch nicht viel. Im Moment ist sie nur ein digitaler Aktenordner. Digitalexpertin Thun ist aber zuversichtlich, dass es noch 2025 möglich sein wird, Laborwerte in einer grafischen Verlaufsübersicht anzuzeigen oder in Befunden zu recherchieren. "Und eines Tages wird die ePA uns wie eine persönliche Gesundheitsmanagerin dabei unterstützen, gesundheitsbewusster zu leben. Sie könnte uns zum Beispiel anzeigen, wie sich Blutwerte über die Jahre verändern, Vorsorgemaßnahmen vorschlagen oder uns an Termine erinnern." In anderen Ländern ist vieles davon längst möglich: In Estland wird die persönliche Medikamentenliste mit dem genetischen Profil abgeglichen, um zum Beispiel Blutverdünner an den Stoffwechseltyp anzupassen. Und in Dänemark erkennt ein Interaktionscheck automatisch, wenn sich Medikamente nicht gut vertragen.

Wie gelangen meine Dokumente in die elektronische Patientenakte?

In erster Linie sollen die Arztpraxen die Akte befüllen. Außerdem sind die Krankenkassen verpflichtet, bis zu zehn Dokumente pro Person und Jahr hochzuladen. Dazu können Sie Ihre Unterlagen zur Geschäftsstelle der Krankenkasse bringen oder per Post schicken. Ansonsten kann man über die ePA-App Gesundheitsdokumente selbst hochladen.

Welche Werte sollte ich denn unbedingt in meine ePA eintragen?

Allergien und Unverträglichkeiten, die einen Schock auslösen können; Medikamente, die regelmäßig genommen werden; Informationen über chronische Erkrankungen, Implantate und eine Schwangerschaft; Entlassungsbriefe von Klinken; Kontaktdaten von behandelnden Ärzt:innen und Angehörigen, die im Notfall verständigt werden; Aufbewahrungsort von Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Organspendeausweis.

In Deutschland gibt es heftigen Widerstand gegen die ePA – warum?

Drei von vielen Gründen sind: In Deutschland gibt es 96 Krankenkassen mit eigenen Systemen sowie mehr als zweihundert Software-Systeme für Arztpraxen. Das macht die technische Umsetzung und Integration der ePA kompliziert. Außerdem befürchten Ärzt:innen, dass sie durch die vielen Fragen zur ePA nicht mehr genug Zeit für ihre eigentliche Arbeit haben: Patient:innen zu behandeln. Und viele Menschen haben Angst, dass ihre Daten missbraucht werden könnten.

Ist diese Angst denn berechtigt?

Gesundheitseinrichtungen, in denen die Gesundheitskarte eingelesen wird, haben für 90 Tage lang Zugriff auf die Daten, Apotheken drei Tage. Aber: Diesen Zugriff können Sie jederzeit über die ePA-App Ihrer Krankenkasse beenden. Thun empfiehlt: "Geben Sie Ihre Daten nur so lange frei, wie es nötig ist." Nicht alle Behandlungsdaten sind für alle Beteiligten interessant: Die Frauenärztin muss nicht wissen, was der Zahnarzt diagnostiziert hat. Gut zu wissen: Alle Angehörigen von Heilberufen unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht. Weder Versicherungen noch Arbeitgeber können die Daten einsehen. Und auch eine kommerzielle Nutzung ist streng verboten. Selbst für Forschungszwecke dürfen die Daten nur mit persönlicher Einwilligung verwendet werden.

Der Chaos Computer Club hat auf Sicherheitslücken hingewiesen. Wie hoch ist das Risiko, dass meine ePA gehackt wird?

"Die Abrechnungsdaten der Krankenkassen, die viele sensible Daten enthalten, werden in Deutschland schon seit den 1980er-Jahren digital hin- und hergeschickt. Dort ist mir kein einziges Datenleck bekannt, obwohl sie weit weniger gesichert sind als die ePA", so Thun. Die Daten der ePA werden über die sogenannte Telematikinfrastruktur ausgetauscht. Diese kann man sich wie ein hochsicheres Netzwerk vorstellen, das exklusiv für das Gesundheitswesen entwickelt wurde. Die TI basiert auf modernen Verschlüsselungstechnologien und strengen gesetzlichen Vorgaben.

Was, wenn ich keine ePA möchte?

Dann bleibt alles beim Alten: Die Daten liegen weiterhin als Papierakte bei Ihnen zu Hause oder im Praxiscomputer der behandelnden Ärzt:innen.

So funktioniert die Akte

Für die Behandelnden

Krankenhäuser und Ärzt:innen können sich mit dem gesicherten Datennetzwerk verbinden und die ePA abrufen. Mit dem Einlesen der Versichertenkarte erhalten Behandelnde die Berechtigung, die Patientenakte zu lesen und Informationen hochzuladen.

Für die Versicherten

Sie bestimmen, wer welche Informationen sehen darf. Sie können die ePA komplett bei Ihrer Krankenkasse ablehnen, einzelnen Ärzt:innen die Berechtigung entziehen oder die Dauer begrenzen, Dokumente löschen oder verbergen und die Freigabe Ihrer Daten für Forschungszwecke verweigern (ab 2026).