Steine, Stille und perfektes Timing: Nadine Redlich auf der 21. Pictoplasma

Was bedeutet Originalität heute? Das hat das 21. Pictoplasma Festival gefragt. Als Antwort gab es umwerfende Ideen und überbordende Kreativität – und das von Artists wie Nadine Redlich. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen. Vier Tage ...

May 5, 2025 - 07:43
 0
Steine, Stille und perfektes Timing: Nadine Redlich auf der 21. Pictoplasma

Was bedeutet Originalität heute? Das hat das 21. Pictoplasma Festival gefragt. Als Antwort gab es umwerfende Ideen und überbordende Kreativität – und das von Artists wie Nadine Redlich. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.

Nadine Redlich auf der 21. Pictoplasma

Vier Tage lang (1.-4. Mai) war Berlin erneut der Mittelpunkt der Welt des Character Designs. Eingebettet in Panels, in ein Symposium, in Screenings, Workshops und Partys, stellten 31 internationale Artists auf der Pictoplasma Conference ihre Arbeiten vor.

Darunter auch die gefeierte Düsseldorfer Cartoonistin Nadine Redlich, die für The New York Times, die Süddeutsche Zeitung, für Google, Apple oder Frieze zeichnet. Die Sammelbände und Bücher herausbringt, in Der Zeit eine eigene Kolumne hatte – und durch ihre lakonischen Arbeiten besticht, für die sie nur wenige Worte und Striche braucht.

Wir haben mit ihr über klare Konzepte und ihr perfektes Timing gesprochen, über Herausforderungen und die Gefühle von Steinen – und welchen Einfluss ihr Hund Ömmes auf ihre Arbeit hat.

Zufällige Momente, präzise Pointen


Dein Talk hier, in dem du deine Arbeit vorgestellt hast, war wie eine Performance. Und das von der ersten Silbe an. Du hast viel mit Pausen gearbeitet, mit Slowmo und das Tempo gewechselt. Wie wichtig ist Timing für dich?

Nadine Redlich: Timing spielt in meiner Arbeit eine zentrale Rolle. Im echten Leben werde ich oft nervös, wenn ich einen Witz erzähle – dann rede ich zu schnell und verhaue ihn. In meinen Comics dagegen habe ich die volle Kontrolle: Ich kann das Tempo bestimmen, Pausen setzen und die Pointe genau so platzieren, wie sie wirken soll.

Könnte man sagen, dass du dann das, was ein Comedian mit seinem Timing auf der Bühne macht, ins Visuelle umsetzt?
Besonders bei den Ambient Comics und den Stones spielt das eine große Rolle. In diesen Arbeiten geht es ja ganz wesentlich um das Verstreichen von Zeit. Der Stein zum Beispiel war ja schon immer da (lacht), und um dieses Gefühl zu vermitteln, brauche ich mehrere Panels, um das sichtbar machen.
Bei meinen kurzen Comicstrips dagegen steht die Pointe im Vordergrund – da kommt es auf den richtigen Moment an. Ich überlege mir genau, wie viel Zeit zwischen den Panels vergehen soll, damit die Pointe optimal sitzt.

Wie bekommst du das Timing hin?
Das ist reines Bauchgefühl.

Nadine Redlich im Selbstporträt

»Ich mag es, ein klares Konzept zu haben«

Wann hat es angefangen, dass Zeit so wichtig wurde in deiner Arbeit?
Das begann in dem Moment, als ich angefangen habe, Comics zu zeichnen – ein Medium, das mir erlaubt, Zeit überhaupt erst darzustellen und sie bewusst verstreichen zu lassen. Das hat mich sofort fasziniert. Vorher habe ich viele Cartoons gezeichnet, da muss alles in einem einzigen Bild passieren. Mit Comics konnte ich die Handlung plötzlich strecken und mit dem Zeitempfinden der Leser:innen spielen.

In deinem Talk hast du erzählt, dass du mitunter acht Bilder hast, in denen eigentlich nichts passiert. 
Das sind die Ambient Comics. Strips ohne klassische Handlung, in denen nichts »passiert« – zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Ich habe mir dabei ein festes Format gesetzt: immer acht Panels. Und genau das war der Reiz daran. Jedes Mal war es eine neue Herausforderung, die Bilder so zu gestalten und zu verteilen, dass sie trotzdem funktionieren – oder sogar unterhaltsam sind. Für mich sind das kleine Rätsel, die ich lösen darf.

Und du machst es auch, weil du eine Tendenz zum Overthinking hast, wie du bei dem Talk erzählst hat. Und dir deshalb immer strenge Rahmen setzt.
Ich mag es, ein klares Konzept zu haben. In meinen Sammelbänden landet natürlich einfach das, was ich über die Jahre hinweg gezeichnet habe, ergänzt durch neue Arbeiten. Aber bei meinen anderen Büchern gibt es immer ein sehr strenges Konzept. Die Ambient Comics zum Beispiel sind immer schwarzweiß, ohne Menschen und folgen einem festen Panel-Raster. Bei den Stones ist es ganz ähnlich: Es gibt drei festgelegte Farben, und der Stein muss in jedem Panel auftauchen. Wenn er es dann nicht tut, ist das schon der Witz. Und bei I Hate You – You Just Don’t Know it Yet sind es schnelle, skizzenhafte Zeichnungen, alle in nur einer Farbe. Ich setze mir gerne solche Grenzen – ohne sie würde ich abdriften.

aus: Nadine Redlich »Doing the Work«

»Ich sammle alles in Skizzenbüchern«

Tauchst du für deine Ideen vor allem in dich selber ab oder bist du einfach eine wahnsinnig gute Beobachterin?
Es geht viel um das Innenleben, aber ich lasse mich auch gerne von außen inspirieren – von lustigen Sätzen, die man zwischendurch aufschnappt, zufälligen Momenten oder absurden Beobachtungen. Oft passiert das ganz zufällig, und ich habe einfach das Glück, sie im richtigen Moment aufzugreifen.

Gehst du bei der Ideensuche auch zu alten Arbeit zurück, die du nicht realisiert hast?
Ich sammle alles in Skizzenbüchern. Wenn mir mal nichts einfällt, blättere ich darin rum und greife auf alte Ideen zurück oder kombiniere mehrere davon.

Also du findest dann immer wieder Ideen in deinem eigenen Universum.
Ja, das ist wahrscheinlich ein bisschen selbstreferenziell …

So wie das Buch, das du über Hunde planst? Jetzt, wo du Ömmes hast?
Ein bisschen schon, ja. Aber ich habe auch vorher schon Hunde gezeichnet. Sie sind einfach sehr dankbare Charaktere, mit denen man viel über das eigene Unverständnis der Welt gegenüber erzählen kann. Ömmes war sehr jung, als ich ihn bekommen habe, und noch nicht stubenrein – das war wirklich sehr zeitintensiv. Dadurch wurde die Welt ein bisschen kleiner. Im Café sitzen oder im ICE und Leute belauschen, das ging nicht mehr. Aber dafür habe ich viel über ihn und Hunde im Allgemeinen gelernt und aufgezeichnet, was ich jetzt nutzen kann.

Gleichzeitig wird die Welt mit einem Hund ganz groß, weil man so vielen begegnet, mit denen man sonst gar nicht ins Gespräch kommt.
Ich habe in dem letzten Jahr mehr mit fremden Menschen gesprochen als zuvor in meinem ganzen Leben. (lacht)

In deinem Talk hast du immer wieder gelacht. Nicht über deine eigenen Pointen, aber zum Beispiel über dieses unglaubliche Gespräch, auch in deiner Serie für »Die Zeit« war. Als du belauschst hast, wie jemand erzählt, dass ein Toter in der U-Bahn lag und er eine Station früher aussteigen musste und gemerkt hat, dass der Weg zur Arbeit so viel kürzer ist. Und sein Begleiter antwortet: Ja, manchmal muss erst etwas passieren, damit sich etwas ändert. Das ist so unfassbar.
Oder? Das kann man sich nicht ausdenken. (lacht)

Aber du machst Geräusche und ziehst Gesichter.
Anscheinend mache ich die Gesichter der Charaktere, die ich gerade zeichne und spreche sie auch, das ist mir gar nicht bewusst.

Eine letzte Frage noch. Du lebst in Düsseldorf. Was ist toll an der Stadt?
Düsseldorf überfordert einen nicht. Ich bin zum Beispiel auch gerne in Berlin, aber dort habe ich immer das Gefühl, ich müsste ständig etwas erleben. In Düsseldorf kann leben wie ein Rentner, aber auch ausgehen, wenn man möchte. Und es gibt Altbier und ABB-Senf.

Ausgestellte Arbeit von Nadine Redlich auf der Pictoplasma Groupshow der Conference Speaker
aus: Nadine Redlich »Doing the Work«
aus: Nadine Redlich »Doing the Work«
Nadine Redlich »I Hate You. You Just Don’t Know It Yet«
aus: Nadine Redlich »I Hate You. You Just Don’t Know It Yet«
Nadine Redlich »I Hate You. You Just Don’t Know It Yet«