Psychologie: Warum Menschen, die mit sich selbst reden, besonders klug sind

Selbstgespräche zu führen, gilt tendenziell als seltsam. Dabei kann es in einigen Situationen erwiesenermaßen Vorteile haben, mit sich selbst zu reden. Warum Schweigen eben doch nicht immer Gold ist.

Mar 21, 2025 - 15:47
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Psychologie: Warum Menschen, die mit sich selbst reden, besonders klug sind

Selbstgespräche zu führen, gilt tendenziell als seltsam. Dabei kann es in einigen Situationen erwiesenermaßen Vorteile haben, mit sich selbst zu reden. Warum Schweigen eben doch nicht immer Gold ist.

Ich gebe es zu: Bei dem Satz "Er saß auf einer Bank und führte Selbstgespräche" würde ich mir wahrscheinlich einen älteren Mann vorstellen, der sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium geistigen Abbaus befindet. Oder der viel alleine ist und deswegen etwas eigen. Wer klar und fit im Kopf ist – und ein integrierter Teil einer Gemeinschaft –, kann doch auch denken, scheine ich zu unterstellen. 

Erschreckend, was ich für Klischees mit mir herumschleppe. Sowohl von älteren Männern als auch von Selbstgesprächen. Zumal Letztere aus sprachwissenschaftlicher Sicht gar nicht sonderbar sind: Obwohl wir es in unserer gebildeten, literarisierten Gesellschaft häufig vergessen, ist Sprache schließlich vor allem anderen laut(lich), wird sie primär gesprochen. 

Zum Glück bin ich kürzlich über einen Beitrag des US-Psychologen Robert Kraft gestolpert, der mich auf mein schräges Klischee aufmerksam gemacht und mich dazu gebracht hat, es zu hinterfragen. In seinem Stück für "Psychology Today" nennt er studienbasierte Argumente, die aus psychologischer Sicht dafür sprechen, mit sich selbst zu reden.

5 Situationen, in denen uns Selbstgespräche nützen können

1. Wenn wir uns aufregen

Mit uns selbst zu sprechen, kann uns dabei helfen, einen distanzierteren, vernünftigeren Blick auf unsere Gefühle zu gewinnen. Über Worte machen wir die Realität gewissermaßen verfügbar für unser Bewusstsein, mithilfe von Sprache ordnen und verstehen wir die Welt – auch die Welt in uns selbst. Besonders wirksam scheint es laut einer Studie zu sein, wenn wir uns statt mit "ich" in der zweiten Person ansprechen, also beispielsweise "Warum regst du dich gerade so auf?". Über das "Du" trennen wir in unserer Vorstellung unser fühlendes Selbst von dem beobachtenden, nachforschenden. Das erleichtert uns ein unbefangeneres Betrachten. 

2. Wenn wir uns selbst kritisieren

Selbstkritik ist weder grundsätzlich bedenklich noch lässt sie sich in der Regel ohne Weiteres abstellen – schließlich streben wir als Menschen tendenziell danach, uns weiterzuentwickeln, aus Fehlern zu lernen, immer klügere Entscheidungen zu treffen. Behandeln wir uns in unserer Selbstkritik allerdings ungerecht, respekt- und empathielos, kann das Untersuchungen zufolge unserem Selbstwertgefühl und unserer Resilienz schaden. Der Psychologe Robert Kraft empfiehlt aus diesem Grund, Selbstkritik am besten auszusprechen: Dann, so seine These, würden wir deutlicher merken, wenn wir ausfallend werden und auf uns herumhacken, anstatt konstruktiv zu kritisieren. 

3. Wenn wir ein Problem lösen möchten

Eine Studie mit medizinischen Rettungskräften legt nahe, dass lautes Nachdenken unsere analytischen Fähigkeiten verstärken und uns zu vernünftigen Schlussfolgerungen verhelfen kann. Sprechen wir unsere Gedanken nämlich aus, fallen uns zum Beispiel Widersprüche oder Gedankensprünge eher auf, als wenn wir alles in unserem Kopf verhandeln. Wir sehen deutlicher, welche Informationen uns vorliegen und was wir daraus machen. Dieselbe Untersuchung stützte auch die These, dass Selbstgespräche beim Lernen helfen können. 

4. Wenn wir vergangene Erlebnisse verarbeiten

Haben wir etwas erlebt oder getan, das uns nachträglich umtreibt und beschäftigt, kann es laut einer Untersuchung sinnvoll sein, dazu das Selbstgespräch mit uns zu suchen. Auch hier, so die These von Psycholog:innen, hälfen uns ausgesprochene Worte, das Erlebte aus einer gelösteren, distanzierteren Perspektive zu sehen und dadurch ein umfassenderes Verständnis zu erlangen, für uns und andere Beteiligte. Auf diese Weise versänken wir weniger in Reue und Bedauern und wären eher in der Lage, aus unseren Erfahrungen zu lernen.

5. Wenn wir Motivation brauchen

Ein Experiment mit Basketball-Profis hat gezeigt, dass es unsere Leistung steigern kann, wenn wir uns mit Selbstgesprächen motivieren und uns gut zureden. Ein laut ausgesprochenes, selbstgerichtetes "Du schaffst das" oder "Gib Gas!" scheint demnach einen stärkeren Effekt zu haben als ein nur gedachtes. 

Wieso gilt schreiben als achtsam und sprechen als sonderbar?

Wer Tagebuch oder ein "Journal" führt, gilt in einigen Kreisen unserer Gesellschaft als achtsam, gesundheitsbewusst, klug im Umgang mit sich selbst. Mit sich ins Gespräch zu gehen, ist letztlich nichts grundlegend anderes: ein Vergegenständlichen der eigenen Gedanken. Wenn ich das eine als Zeugnis für Klarheit und Aufgeräumtheit betrachte, erscheint es absurd und widersprüchlich, im anderen einen Hinweis auf Sonderbarkeit, Überforderung und Schwäche zu sehen. 

Trotzdem bleibe ich vermutlich erst einmal dabei, mir bei dem Satz "Er saß auf einer Bank und führte Selbstgespräche" einen älteren Mann vorzustellen. Nur möchte ich von nun an diesem Mann in meiner Vorstellung nicht mehr unterstellen, dass er eigen ist oder geistig abbaut. Ich möchte unterstellen, dass er mir etwas voraus hat und beibringen kann. Damit könnte ich nämlich nicht nur mein Klischee von Selbstgesprächen begradigen, sondern auch von alten Männern. Und im nächsten Schritt nehme ich mir vor, mich dazuzusetzen und selbst mit mir zu reden. Wenigstens in meiner Vorstellung. Erschreckend, was ich für Klischees mit mir herumschleppe. Und was die mit mir machen.