Leben als Influencerin : Ist Aufhören eine Option, Madeleine Alizadeh?
Madeleine Darya Alizadeh, 36, postet seit 15 Jahren als @dariadaria über Politik, Mode und Klima. Und bekommt fast täglich Hassmails. Warum macht sie trotzdem weiter?

Madeleine Darya Alizadeh, 36, postet seit 15 Jahren als @dariadaria über Politik, Mode und Klima. Und bekommt fast täglich Hassmails. Warum macht sie trotzdem weiter?
Gerechtigkeit ist ein Thema, das sie antreibt, seit sie denken kann – oder besser: Ungerechtigkeit, vor allem gegen Tiere und marginalisierte Minderheiten. "Die Plattformen haben sich angeboten, diesen Themen mehr Gehör zu verschaffen", sagt Madeleine Alizadeh. "Direkt, einfach und schnell."
2013 legte sie los mit ihrem Blog und auf Instagram, schnell war sie einer der ersten großen Accounts, der zu Klimaschutz postete – weil sie es wie kaum eine andere schaffte, Kritik und Information witzig und unterhaltsam zu verpacken. Sie führte das perfekte Ökoleben, Zero Waste, vegan, fuhr nur noch Zug und entsorgte sogar ihre ausgefallenen Haare auf dem Biomüll. In der woken, feministischen Bubble wurde sie ein Star, Hunderttausende folgen ihr bis heute. Was sie das kostete, merkte sie lange gar nicht. "Ich habe ein großes Pflichtbewusstsein und wollte es jedem recht machen", sagt sie. "Ein Vorbild sein, jeden Kauf rechtfertigen." Bis sie krank wurde, Erschöpfungsdepression.
"Sieben Jahre Druck, sieben Jahre Erwartungshaltung, sieben Jahre absolute, rigorose Kontrolle über mein Leben. (…) Meine Depression war das Resultat eines Drucks, unter dem ich kollabiert bin" (Post vom 18.11.2023)
Sie machte eine Therapie und eine Social-Media-Pause. Und versucht seither, ihre Wertvorstellungen weniger von anderen beurteilen zu lassen. Ja, sie fliegt auch mal zu Verwandten in die USA oder isst ein Omelett aus echten Eiern. Und trotzdem, es bleibt kompliziert. "Ich kann lernen, mich abzugrenzen", sagt sie. "Aber es gibt eine Kraft da draußen, die kann ich nicht kontrollieren, und das ist die Öffentlichkeit."
Sie habe schon krasse Sachen erlebt: Sie wurde gefilmt, wie sie weinend aus einer Therapiesitzung kam. Von einer AfD-Anhängerin beschimpft, weil sie ihr erklärte, dass die Regierung Influencer:innen kein Geld zahle, um gegen die AfD zu hetzen. Von einer Followerin angesprochen, die sich umbringen wollte, als sie gerade mit einer Freundin spazieren ging. "Viele meiner privaten Momente bleiben nicht privat, und oft muss ich auch im privaten Setting eine öffentliche Person sein."
Social Media, sagt sie, sei "eine Hassliebe, eine konstante Krise". Weil sie ein emotionaler Mensch sei, durch ihre ADHS-Erkrankung impulsiver reagiere als andere. "An manchen Tagen bin ich abgeklärt genug, wenn ich beschimpft werde. Dann kann ich die Person einfach löschen, blockieren oder in den Diskurs gehen. Und dann gibt es Tage, wo es mich völlig aus der Bahn wirft, wo ich traurig, ängstlich oder wütend bin."
Sie weiß aber auch: Das Geld, das sie verdient, hängt von ihrem Image als Sinnfluencerin ab. Vor einigen Jahren gründete sie das Fair-Fashion-Label dariadeh.com, zehn Mitarbeiter:innen beschäftigt sie, auch das funktioniert vor allem wegen ihrer großen Reichweite. Wie oft sie darüber nachdenkt, mit Social Media aufzuhören? "Jeden zweiten Tag. Aber ich liebe es auch: den Austausch mit meiner Community, etwas zu bewegen. Und ich bin verantwortlich für mein Team." Erfolg versus mentale Gesundheit, ihr ständiger Struggle.
"Mit all dem, was die letzten Jahre in meinem Leben passiert ist, Schritt zu halten – und gleichzeitig unzählige Menschen zu unterhalten, zu informieren, aufzuklären – dabei nicht zu ernst, nicht zu sarkastisch, gut informiert, aber nicht zu langweilig zu sein. Ich selbst zu sein, aber bitte nur so, wie es jede einzelne Person erwartet" (Post vom 19.1.2025)
Sie hat wieder mit Youtube begonnen, weil sie die Entwicklung auf Tiktok und Instagram kritisch sieht. "Das ist ja mein Arbeitsplatz. Will ich ein Büro haben, wo Hate Speech nicht moderiert wird, Fehlinformation nicht gemeldet werden kann? Ein Büro, das kein Safe Space für mich und andere marginalisierte Personen ist?" Natürlich nicht. Wenn nicht ihr Leben und das ihres Teams davon abhängen würde.