Journal Montag, 17. März 2025 – Aussetzer
Gute Nacht, trotz der bevorstehenden Arbeitswoche mit belastenden Themen kein Angstkarussel. Der Tagesanbruch versprach die angekündigte Wetterverbesserung, doch wie ebenfalls angekündigt war es zapfig kalt. Im Büro spielte mein E-Mail-Postfach wieder Büchse der Pandora und entließ beim Öffnen einen Gutteil der Übel dieser Welt (jajaja, ich weiß: Ich stell mich ganz schön an, schließlich ist […]
Gute Nacht, trotz der bevorstehenden Arbeitswoche mit belastenden Themen kein Angstkarussel.
Der Tagesanbruch versprach die angekündigte Wetterverbesserung, doch wie ebenfalls angekündigt war es zapfig kalt.
Im Büro spielte mein E-Mail-Postfach wieder Büchse der Pandora und entließ beim Öffnen einen Gutteil der Übel dieser Welt (jajaja, ich weiß: Ich stell mich ganz schön an, schließlich ist das mein Job). Während ich diese noch panisch strukturierte, priorisierte und abarbeitete, meldeten sich aus anderer Richtung weitere Übel, die ich (hoffentlich höflich und konstruktiv) vertrösten musste. Mir wurde mal wieder eines meiner Grundprobleme mit der Welt klar: Wenn Menschen etwas ankündigen oder zusagen, speichere ich das als wahrscheinlichste Zukunft ab. Ich werde wohl bis ans Ende meiner Tage nicht genügend einkalkulieren, dass viele sich nicht an die eigenen Ankündigungen und Zusagen halten, manche das sogar nie beabsichtigten.
Im Lauf des Vormittags legte sich die Panik, ich konnte alle neuen Anfragen bedienen.
Bis ich mich auf den Weg zu Mittagscappuccino (Nachbar-Cafeteria) und anschließender Frischluft-Runde machte, war der Himmel geschlossen voller dunkler Wolken, die dann auch noch vereinzelte Schneeflocken auf mich warfen.
Später Mittagessen am Schreibtisch: Ein Schnitz selbstgebackenes Brot, außerdem Mango (endlich mal wieder eine überaus köstliche) mit Sojajoghurt.
Zackiger Nachmittag, ein Querschuss, den ich mit Hurra angenommen hatte (weil er mich von einer unangenehmen Aufgabe abhielt), stellte sich als unvermutet aufwändig heraus (win some, lose some). Doch dann: Plötzlicher kompletter Konzentrationseinbruch – der mir klar wurde, als ich in meinen Korrekturen, die ich eben ins Dokument übernehmen wollte, einen massiven Aussetzer entdecke. Ich verschob den Abschluss der Aufgabe auf den nächsten Morgen, an dem ich hoffentlich “sowohl” nicht mehr mit “sowie” verwechselte. Oder an dem ich merkte, dass ich die Firmen-Smartcard eigens aus dem Rechner entkoppelt hatte, um sie aufs Klo mitzunehmen. Und an dem die Wörter beim Lesen nicht tanzten.
Die Ausfälle setzten sich auf dem Heimweg fort, als ich mich auf einer ganz anderen Straße wiederfand, als ich vorgehabt hatte (und mein innerer Coach mich anblaffen musste: “Focus!”). Den Weg zur Änderungsschneiderei fand ich zum Glück, ließ dort eine schöne Nadelstreifen-Hose zum Kürzen, die meine Mutter mir geschenkt hatte. Die Umkleidekabine schwankte gefährlich beim Umziehen, ich erinnerte mich plötzlich daran, dass in den vergangenen Tagen schonmal ein Weg und eine Treppe geschwankt hatten. (Sofort Lächeln, Sprechen, Arme hoch getestet – das war es nicht.)
Was von allein kommt, geht auch wieder von allein. Ich nahm mir vor, bis zum nächsten Morgen nichts öffentlich zu schreiben, keine Verträge zu unterzeichnen, nur mit Herrn Kaltmamsell zu kommunizieren.
Yoga-Gymnastik ging daheim gut, als Nachtmahl war Kartoffelsuppe aus Ernteanteil-Kartoffeln, und -karotten vereinbart unter Verwendung eingefrorener Müllsuppe. Doch Herr Kaltmamsell berichtete, das sei alles irgendwie außer Kontrolle geraten und zu einem Eintopf mit Sellerie, weißen und braunen Bohnen geworden – da könne er doch eigentlich auch noch Nudeln reinwerfen? Aber ja sicher.
War ein sehr guter Eintopf.
Als Abendhunterhaltung die erste Hälfte von The Lost King in der ARD-Mediathek angesehen; die Geschichte, auf der der Film basiert, hatte mich seinerzeit fasziniert.
Doch zum Teil fand ich das Drehbusch schon arg grottig, klischeehaft und unrealistisch – womit ich nicht die Visionen von Begegnungen mit Richard III. meine, sondern den angeblichen Vortrag eines Historikers: Dass Shakespeares Darstellung wenig mit dem historischen Richard III. zu tun hat, gilt – anders als gezeigt – schon ziemlich lang als Forschungsstand.
Müde früh ins Bett zum Lesen, früh Lichtaus, weil ich am nächsten Morgen erstmals wieder vor der Abend Laufen gehen wollte: Bei dem angekündigten wolkenlosen Wetter sollte es hell genug dafür sein.
§
Ich verderbe mir ja weiterhin die Laune mit dem Mastodon-Kanal des Auschwitz-Museums. Und weiß nicht, was mich auf den offiziellen KZ-Fotos heftiger anfasst: Wenn die Gefangenen auch noch versuchen zu lächeln – weil Fotositutation -, oder ängstlich aussehen, manchmal Tränen in den Augen haben. Wenn sie wie meistens bereits von langem Hungern ausgezehrte Gesichter haben oder offensichtlich aus einem behüteten Leben mit ausreichend Nahrung gerissen wurden. Wenn der Abstand zwischen Inhaftierung und Ermordung kurz ist – weil hoffentlich nicht viel Leid -, oder wenn er lang ist – weil noch ein paar Monate Überleben.