"Carewerkschaft": "Wir fordern einen Platz an allen Verhandlungstischen ein!"

Care-Arbeit ist kein "Liebesdienst", sondern muss endlich als gleichwertige Arbeit angesehen werden. Dafür kämpft ab sofort die "Liga für unbezahlte Arbeit". 

May 8, 2025 - 14:36
 0
"Carewerkschaft": "Wir fordern einen Platz an allen Verhandlungstischen ein!"

Care-Arbeit ist kein "Liebesdienst", sondern muss endlich als gleichwertige Arbeit angesehen werden. Dafür kämpft ab sofort die "Liga für unbezahlte Arbeit". 

BRIGITTE: Mal ganz dystopisch gedacht – was würde passieren, wenn keiner mehr die Care-Arbeit machen würde? 
JO LÜCKE: Unsere Gesellschaft würde innerhalb weniger Tage kollabieren. Man stelle sich nur mal vor: Niemand betreut mehr Kinder, pflegt Angehörige, kümmert sich um den Haushalt oder leistet emotionale Unterstützung. Haushalte würden im Chaos versinken und die Erwerbsarbeit käme zum Erliegen. Sorgearbeit ist das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Deshalb ist es so absurd, dass sie weder angemessen bezahlt noch rechtlich geschützt wird. Während bezahlte Arbeit seit über 150 Jahren durch Gewerkschaften vertreten wird, stand die unbezahlte Sorgearbeit – die theoretisch einen Wert von 1,2 Billionen Euro jährlich hat – bisher ohne organisierte Interessenvertretung da. Diese Lücke will die Liga für unbezahlte Arbeit(LUA) jetzt schließen. 

Wie hilft die LUA unbezahlt Sorgearbeitenden konkret? 
Durch Vernetzung, Bildung, Beratung und politische Interessenvertretung: Wir stellen digitale Treffen für Sorgearbeitende auf die Beine, bieten Expert:innenworkshops an, planen Kampagnen und stellen Forderungen an Politik und Gesellschaft. Wir vermitteln Selbstbewusstsein und ein Gemeinschaftsgefühl, das Sorgearbeitenden bisher oft fehlte. Als „Carewerkschaft“ fordern wir einen Platz an allen Verhandlungstischen ein. 
Wir sehen die Grundlage für alle Lösungen in einem Diskriminierungsverbot für Fürsorgeverantwortung. Niemand sollte Nachteile erleiden müssen, weil er oder sie sich um Kinder, Angehörige oder andere nahestehende Personen kümmert. Deswegen fordern wir die Aufnahme von „familiärer Fürsorgeverantwortung“ in Artikel 3 des Grundgesetzes. 

Ihr setzt euch auch für eine 30-Stunden-Woche ein.
Ja, das Neudenken von Arbeit ist elementar – weg vom 40-Stunden-Vollzeitmodell hin zu kürzeren Arbeitszeiten für alle. Eine 30-Stunden-Woche würde allen mehr Zeit für Sorgearbeit ermöglichen und zu einer gerechteren Verteilung beitragen.

Frauen leisten rund 44 Prozent mehr Care-Arbeit als Männer. Was muss sich konkret ändern? 
Sobald das Ansehen der Sorgearbeit steigt und die soziale Absicherung verbessert wird, wird es Männern deutlich leichter fallen, aktiver in der Sorgearbeit zu werden. Dazu brauchen wir eine Kultur, die Fürsorge als Stärke, nicht als Schwäche definiert

Warum ist die Aufwertung von Care-Arbeit eine der drängendsten politischen Machtfragen?
Wer die Macht hat, zu definieren, was als "richtige" Arbeit gilt und was nicht, bestimmt auch, wer Zugang zu Ressourcen, Absicherung und Anerkennung hatSolange Sorgearbeit als "Privatangelegenheit" oder "Liebesdienst" abgetan wird, bleibt die strukturelle Ungleichheit bestehen. 

Was fehlt im neuen Koalitionsvertrag?
Wir brauchen eine systematische Prüfung aller Gesetze auf ihre Auswirkungen für Sorgearbeitende. Konkret vermissen wir Maßnahmen zur finanziellen Absicherung von Sorgearbeit, eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung und einen klaren Plan zur Überwindung des Gender Care Gaps. Die vorgesehenen Maßnahmen – wie die Familienstartzeit oder Verbesserungen bei der Vereinbarkeit – sind Schritte in die richtige Richtung, aber sie bleiben im alten Denken verhaftet: Sorgearbeit als Privatangelegenheit, die irgendwie mit der "eigentlichen" Arbeit vereinbart werden muss. 

Die Diskriminierung von Sorgearbeitenden zieht sich durch so viele Lebensbereiche … 
Besonders gravierend ist sie im Erwerbsleben und in der Rente. Der "Karriereknick" nach Elternzeit oder Pflegephasen ist real – und trifft vor allem Frauen. Teilzeitarbeitende werden bei Beförderungen übergangen, erhalten weniger Weiterbildung und werden oft nicht mehr ernst genommen. Die Folge: Ein um über die Hälfte verringertes Lebenseinkommen und ein Drittel der Rentenansprüche im Vergleich zu Menschen, die keine oder deutlich weniger Sorgearbeit geleistet haben.

Was könnte ein Szenario für eure Rechtsberatung sein? 
Eine Alleinerziehende wendet sich an die LUA, weil ihr mehrfach Wohnungen verweigert wurden, nachdem sie erwähnte, dass sie zwei kleine Kinder hat. Vermieter:innen äußerten Bedenken wegen möglicher Lärmbelästigung und Zahlungsfähigkeit. Unsere Jurist*innen prüfen dann, ob es bereits Präzedenzfälle gibt, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Handlungsempfehlungen bereithält oder Mietervereine bereits Erfahrungen mit dieser Form der Diskriminierung gemacht haben. 

Gut, dass ihr jetzt da seid.