Toxische Beziehungen: Wann sollte ich mit Freundinnen lieber Schluss machen?

In der dritten Staffel "The White Lotus" zerfleischen sich drei vermeintliche Freundinnen im Urlaub gegenseitig. Ärgerliches Klischee oder wahrer als man denken möchte? Ein Freundschaftsexperte klärt auf.

Apr 15, 2025 - 15:10
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Toxische Beziehungen: Wann sollte ich mit Freundinnen lieber Schluss machen?

In der dritten Staffel "The White Lotus" zerfleischen sich drei vermeintliche Freundinnen im Urlaub gegenseitig. Ärgerliches Klischee oder wahrer als man denken möchte? Ein Freundschaftsexperte klärt auf.

Sie waren mal beste Freundinnen, haben sich lange nicht gesehen. Jetzt verreisen sie zusammen. Aber – reicht das? Statt echter Wiedersehensfreude herrschen zwischen dem Freundinnentrio in der dritten Staffel "The White Lotus" vor allem Neid, Konkurrenz und Missgunst. Obwohl sich die Mittvierzigerinnen nonstop mit Liebesbekundungen und Komplimenten überhäufen, ist von der Innigkeit aus Schulzeiten nicht mehr viel übrig. "Sie lebt von männlicher Aufmerksamkeit", lästert die eine, als die andere den Raum verlässt. "Jämmerlich." 
Mit Cocktails wird’s nicht besser. "Wir sind noch genauso wie in der zehnten Klasse", stellt die eine fest. "Du bist immer frustriert." Darauf die andere: "Und du bist immer fake." Wieder die erste: "Und du bist eitel und egoistisch."

Natürlich ist es unterhaltsam, wie sich die reichen Ladys gegenseitig zerfleischen. Gleichzeitig ärgert diese Darstellung von Frauenfreundschaft, weil sie sexistische Genderklischees reproduziert. Oder gibt es solche vergifteten Freundschaften tatsächlich häufiger, als wir meinen? Und falls ja – was steckt dahinter? 

Wer andere ständig abwertet, hat ein geringes Selbstwertgefühl

"In den meisten Fällen gibt es das eher in den Freundschaftscliquen von jungen Frauen zwischen elf und 16", sagt der Berliner Psychotherapeut Dr. Wolfgang Krüger zu BRIGITTE. Wer sich mit über 40 immer noch so verhalte, versuche damit ein geringes Selbstwertgefühl zu stabilisieren. "Wenn ich jemanden ausgrenze, habe ich Macht und wenn ich über jemanden herziehen, habe ich Überlegenheit", erklärt der Freundschaftsexperte. Das erzeuge schnell ein intensives Glücksgefühl wie eine Droge. "Nichts hält oberflächliche, vorübergehende Gruppen mehr zusammen, als zu lästern." Natürlich könne man auch auf anspruchsvollere Art ein Wir-Gefühl erzeugen, indem man nach gemeinsamen Zielen sucht oder mehr Tiefgang erzeugt – "aber das ist anstrengend". 

Lästern ist nicht immer nur toxisch, sondern auch erleichternd

In der Serie sehen wir diese Szenen geballt und auf die Spitze getrieben. "Im wahren Leben hat es nicht immer etwas Toxisches, wenn wir uns ab und zu über andere aufregen", sagt Dr. Krüger. "Vielmehr erleichtern wir uns, indem wir mit anderen über etwas reden, das uns beschäftigt." Und das sei tatsächlich ein Volkssport, habe aber eben auch seine Berechtigung.

Wenn man sich allerdings vermehrt über ein und dieselbe Person aufregt, sollte man genauer hinzuschauen. Nicht immer lohnt es, sich krampfhaft an den guten alten Zeiten festzuhalten. "Eine Freundschaft sollte möglichst ausgeglichen sein", sagt Dr. Krüger. "Wenn man der anderen ständig Anerkennung gibt, selbst aber nur Kritik bekommt oder der anderen häufig hilft, aber nie was zurückkommt, dann ist es nicht demokratisch."

In Freundschaften ist unsere Leidensfähigkeit hoch 

"Wenn uns Freundschaften nur noch Kraft und Lebenszeit rauben, muss man sie beenden", so der Psychotherapeut. "Vor allem, wenn man merkt: Ich mache das nur noch mit, weil ich Schwierigkeiten habe, mich abzugrenzen und konfliktunfähig bin."

Allerdings gibt es Ausnahmen. "Wenn eine Freundin viele Eigenschaften hat, dir wir bewundern, etwa unendlich lebendig ist, wahnsinnig witzig und interessant ist, und wir uns, wenn wir uns mit ihr getroffen haben, besser als vorher fühlen – dann können wir zum Beispiel darüber hinwegsehen, dass sie immer eine halbe Stunde zu spät kommt und nie richtig zuhört – weil die Bilanz stimmt", sagt Dr. Krüger. 

Trotzdem besitzen wir in Freundschaften eine gewisse Leidensfähigkeit, weil sie für uns so (überlebens-)wichtig sind: Eine IfD-Studie hat ergeben, dass für 85 Prozent der Menschen Freundschaften einen noch höheren Stellenwert haben, als die Familie, Kinder oder eine gute Beziehung. Das liegt vor allem an ihrer Langlebigkeit, im Vergleich zu Liebesbeziehungen.

Herzensfreundschaften halten 30 Jahre – doppelt so lange wie die Durchschnittsehe

"Es heißt nicht umsonst: Männer kommen und gehen, wahre Freundinnen bleiben immer an unserer Seite, egal, wie anstrengend wir gerade sind", sagt Dr. Krüger. "Frauen führen mit Freundinnen die Gespräche, die sie mit Männern nicht führen können. Durchschnittsehen halten 15 Jahre, Herzensfreundschaften halten 30 Jahre, sind vor allem im Alter die Säulen im Leben, weil der Mann häufig eher stirbt. Dieser enge soziale Kreis ist später überlebenswichtig." Wohl der Grund, warum die "White Lotus"-Frauen, zum Teil bereits geschieden und alleinerziehend, immer noch miteinander verreisen. 

Was können wir also tun, damit eine Freundschaft möglichst lange hält – auch, wenn man sich nur selten sieht? "Um eine Freundschaft aufzubauen, braucht man mindestens ein Jahr", sagt Dr. Krüger. "Wer sich nur einmal im Jahr trifft, hat Probleme, sie mit Leben zu füllen." Dafür müsse man sich erstmal erzählen, was schwierig war, wo man gescheitert ist, nach dem Motto: Ich habe mich in diesem Jahr noch mehr von meinem Mann noch mehr entfernt, mein Job macht mir keinen Spaß mehr und meine pubertierende Tochter raubt mir den letzten Nerv. Aber dazu sind viele nicht bereit, weil es Mut erfordert und man sich mit sich selbst auseinandersetzen muss. Da würden viele lieber die einfachere Variante wählen: "Lästern ist erheiternd und damit eins der besten Ablenkungsmanöver, um nicht auf das eigene Leben schauen und davon erzählen zu müssen", weiß Dr. Krüger. 

Besagten Mut finden die Freundinnen in "The White Lotus" (läuft bei uns auf WOW TV) am Ende übrigens doch noch und teilen zum ersten Mal ihre wahren Gefühle miteinander. So offenbart die eine, dass sie sich in Gegenwart ihrer alten Schulfreundinnen, die offenbar glücklich sind, schmerzlich bewusst wurde, welche Fehler sie in ihrem Leben gemacht hat, im Job und in der Liebe, und womit sie heute struggelt, als alleinerziehende Mutter eines Teenagers. 

Warum viele Panik vor Klassentreffen haben 

Ein Gefühl, das "The White Lotus"-Macher Mike White selbst nur zu gut kennt, wie er gerade im offiziellen Podcast zur Serie preisgab: "Es mögen nicht immer unsere tiefsten Freundschaften sein, aber es hat etwas sehr Tiefes, mit diesen Menschen wieder in Kontakt zu kommen, und zu sehen wie jeder seine eigene Religion hat." Es sei faszinierend, wie diese Leute einem Leid zufügen könnten, nur indem sie existierten, weil sie einen anderen, vielleicht erfolgreicheren Weg gegangen seien und man dadurch immer irgendwie das Gefühl hätte, seine eigenen Entscheidungen verteidigen zu müssen.

Ein Gefühl, das dafür verantwortlich ist, dass viele angesichts eines bevorstehenden Klassentreffens mitunter eher Schweißausbrüche bekommen, als Vorfreude zu empfinden. Nun wissen wir wenigstens: Es geht fast allen so.