Dr. Ute Seeland: Wie auch Männer von geschlechtersensibler Medizin profitieren
Vor Kurzem wurde in Magdeburg die erste Hochschulambulanz für geschlechtersensible Medizin eröffnet. Für Leiterin Professor Dr. Ute Seeland geht damit ein Traum in Erfüllung.

Vor Kurzem wurde in Magdeburg die erste Hochschulambulanz für geschlechtersensible Medizin eröffnet. Für Leiterin Professor Dr. Ute Seeland geht damit ein Traum in Erfüllung.
BRIGITTE: Inwiefern ist Ihre Ambulanz ein echter Meilenstein?
Prof. Dr. Ute Seeland: Geschlechtersensible Medizin ist ein theoretisches Fach und ein sehr breites, denn wenn man genau hinschaut, erkennt man in allen Disziplinen Geschlechtsunterschiede. Es gibt auch nicht sehr viele Menschen, die in diesem Fach gut ausgebildet sind. Insofern erfüllt sich schon ein Traum, es jetzt in die Klinik zu bringen.
An wen richtet sich das Angebot?
An Menschen, die bisher im medizinischen System keine Anlaufstelle und nach einem Termin bei Arzt oder Ärztin das Gefühl haben, es wurde gar nicht richtig verstanden, was sie wollen.
Also Frauen.
Nein. Natürlich sind Frauen, und vor allem Frauen in den Wechseljahren, eine sogenannte vulnerable, also verletzliche, Gruppe. Weil diese Lebensphase soziokulturell nicht in der Gesellschaft angekommen ist und auch nicht im Studium, und weil wir überall im Körper Rezeptoren für Hormone haben und deswegen auch ganz viel im Körper passiert, das fehlinterpretiert werden kann. Aber insgesamt betrifft die geschlechtersensible Medizin alle. Junge Männer sind zum Beispiel ebenfalls eine vulnerable Gruppe.
Warum das?
Auch bei ihnen im Körper passiert hormonell ganz viel, worüber wir ganz wenig wissen. Und es ist ganz klar auch eine Gruppe, der Ansprechpartnerinnen und -partner im Gesundheitssystem fehlen. Aufgefangen werden die jungen Männer von den Muckibuden, wo sie sich gegenseitig aufklären, sag ich immer. Und natürlich von Social Media. Aber dann fahren sie mit ihrem Bike den Berg rauf, haben Herzklopfen und fragen sich, ob das noch normal ist. Viele leiden auch unter Rückenschmerzen. Das kann mit dem Wachstum zu tun haben, aber es können auch orthopädische Probleme sein.
Zu Ihnen in die Ambulanz kommt man auch als Kassenpatientin mit einer Überweisung von Hausärztin/-arzt. Wenn ich zum Beispiel mit Bluthochdruck, einem Ihrer Schwerpunktthemen, komme: Was läuft dann anders als in einer anderen Sprechstunde?
Zunächst mal, dass das soziokulturelle Geschlecht mit einem speziellen Fragebogen erfasst wird. Dann messe ich den Blutdruck nicht nach der normalen Methode mit der Manschette am Oberarm, sondern benutze die viel genauere, sogenannte Pulswellenanalyse, die die Elastizität der Gefäße untersucht.
Inwiefern ist das wichtig?
Weil Bluthochdruck nicht gleich Bluthochdruck ist. Ich behaupte, dass es einen männlichen und einen weiblichen gibt. Der weibliche entsteht vor allem durch den Verlust der Gefäßelastizität. Unsere Gefäße werden nach der Menopause deutlich weniger elastisch und das Endothel, also die Zellschicht, die unsere Gefäße auskleidet, funktioniert zunehmend schlechter. Das heißt auch, dass der Wert, der mit der Oberarmmanschette gemessen wird, zu hoch sein kann, denn um ein steifes Gefäß zuzudrücken, brauche ich natürlich viel mehr Druck.
Wirken deswegen Blutdrucksenker bei Frauen anders als bei Männern?
Die Wirkung von Arzneimitteln generell ist meist gar nicht so unterschiedlich. Das Problem sind die unerwünschten Wirkungen: Davon haben Frauen sehr viel mehr. ACE-Hemmer etwa können Husten auslösen, bei Calciumantagonisten haben wir häufiger das Problem von Wassereinlagerungen. Natürlich muss man da differenzieren, aber was nicht sein darf, ist, dass ich ein Medikament gebe, um die Nebenwirkung eines anderen auszugleichen.
Man muss die physiologischen Hintergründe kennen, um genau zu wissen, welches Medikament für welche Person am besten wirkt und verträglich ist. Auch deswegen ist die Hochschulambulanz so wichtig, weil ich dort viele Ärztinnen und Ärzte ausbilden kann.