32, schwanger, Schlaganfall: "Was ist übrig geblieben von der, die ich einmal war?"
Magdalena Gössling ist Anfang dreißig, als sie einen schweren Schlaganfall erleidet. Hier und in ihrem Buch "Wieder werden. Eine Geschichte über Verlust und Erneuerung" schreibt sie über den Schmerz, Träume loszulassen und den Versuch, die Krise in ihr Leben zu integrieren.

Magdalena Gössling ist Anfang dreißig, als sie einen schweren Schlaganfall erleidet. Hier und in ihrem Buch "Wieder werden. Eine Geschichte über Verlust und Erneuerung" schreibt sie über den Schmerz, Träume loszulassen und den Versuch, die Krise in ihr Leben zu integrieren.
Mein Ich zerbrach
Die Vorzeichen für mein Leben hatten sich schlagartig verändert. Das, was mir in einem Moment noch als naturgegeben erschien, war schon im nächsten in scheinbar unerreichbare Ferne gerückt. Ich fühlte mich orientierungslos.
Mit 32 Jahren war ich durch einen Schlaganfall aus allen Rollen gefallen, die ich gewählt hatte. Ich war Chirurgin gewesen, Mutter eines dreijährigen Kindes und mit dem zweiten Kind schwanger. Ich hatte in einer gleichberechtigten Partnerschaft gelebt, war sportlich ambitioniert und hatte geglaubt, alles im Griff zu haben.
Nach dem Schlaganfall konnte ich weder sprechen noch schreiben und war auf der rechten Körperseite gelähmt. Ich war nicht mehr die Frau, die einer Karriere nachging, nicht mehr die Mutter, die vorlesen oder das eigene Kind auf dem Arm halten konnte, nicht mehr die Partnerin, die die Beziehung aktiv mitgestalten konnte. Was war übrig geblieben von der, die ich einmal war?
Ich kämpfte gegen die Erwartungen
Wie den meisten Menschen fiel es mir schwer, von den Erwartungen, die ich an mich selbst hatte, abzurücken. Ich verglich mich mit dem Ich vor dem Ereignis und schämte mich für die, die ich jetzt war. Ein Druck lastete auf mir: möglichst schnell wieder so werden, wie ich einmal war! Ob es die Aussagen anderer waren, die mir von ihren Vorstellungen für meine Zukunft erzählten, oder eine Stimme in mir, die mich selbst herabsetzte und antrieb: Beides führte zu inneren Kämpfen, die ich nicht auflösen konnte.
In meinem bisherigen Leben hatte ich mein Selbstwertgefühl von messbaren Erfolgen abhängig gemacht. In der Schule und im Studium wollte ich die besten Noten, beim Sport die höchsten Ergebnisse erzielen und im Beruf die angesehenste Stelle ergattern. Mein Ehrgeiz half mir zwar, in der Rehabilitation voranzukommen, aber der innere Druck ließ mich verzweifeln. Mir wurde bewusst, dass ich viele Defizite nicht aufholen würde, spürte, dass ich mich verändert hatte und alte Vorstellungen ziehen lassen musste.
Aber wie gelingt es, loszulassen? Wie verabschieden wir uns von dem Vertrauten und brechen auf ins Ungewisse? Ich fragte mich immer wieder: Ist es eine Flucht oder ist es Mut, sich andere Ziele zu stecken als jene, die mir einmal wichtig waren?
Durch das Schreiben fand ich eine Verbindung zu mir
Obwohl ich merkte, dass ich nach meinem Schlaganfall im Alltag auf geregelte Abläufe und Sicherheit angewiesen war, war da auch eine Unruhe, eine Getriebenheit in mir. Ich wollte die Füße nicht stillhalten. Ich machte mich auf die Suche nach Dingen, die mir einerseits Halt boten, andererseits aber auch die Möglichkeit beinhalteten, Neuem Raum zu geben. Ich machte wieder mehr Sport, brachte aber nicht nur meinen Körper in Bewegung.
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Wort für Wort, Zeile für Zeile holte ich meine Erlebnisse hervor und breitete sie vor mir aus. Das Schreiben half mir, eine Verbindung herzustellen zwischen dem, was vergangen und dem, was gegenwärtig war: Ich brachte es zu Papier und konnte es betrachten. So begann ich, meine alte Identität mit meinem neuen Ich zu verweben.
Indem ich ins Handeln kam, brach ich auf
Neben dem Schreiben und dem Sport waren es auch die Musik und die Besuche als Gasthörerin an der Universität, die mir Freude und neue Denkansätze schenkten. Ganz zart spürte ich eine Veränderung in meinen Gedanken: Vielleicht passte mein altes Leben gar nicht mehr zu mir. Vielleicht können wir einen Einschnitt auch als Möglichkeit sehen, neu zu wählen, was das eigene Leben ausmachen soll. Auch wenn es schmerzte: Ich konnte nicht alle Fähigkeiten zurückgewinnen, es war nicht möglich, den Einschnitt ungeschehen zu machen. Aber ich konnte lernen, den Verlust anzunehmen, mit ihm umzugehen, meine tagtäglichen Misserfolge anders zu bewerten und mir Zeit zu geben, einen neuen Weg zu finden.
Die Menschen in meinem Umfeld, die Zuwendung, die ich bekam, die belebenden Gespräche, die ich führte, die Bücher, die ich las und vor allem das Schreiben – all die Dinge, all die Menschen, all die Worte, all die Sinne verbanden mich mit der Welt und zeigten mir einen neuen Weg.
Meine Arbeit bestand nicht mehr darin, so zu werden, wie ich früher einmal war. Sie bestand nun darin, mich darauf einzulassen, wieder zu werden.