Warum wir Parität brauchen: "Ohne Frauen – keine Demokratie!"

Wenn Prof. Dr. Laskowski Ungerechtigkeit sieht, handelt sie. Wie jetzt im Bundestag: Dort fehlen nämlich Frauen; gerade mal 32,4 Prozent der Abgeordneten ist weiblich. Die Juristin reicht aktuell eine Wahlprüfungsbeschwerde für Parität ein. Warum das längst überfällig ist, Frauen in der Politik nach wie vor benachteiligt sind und was wir dagegen tun können, erzählt sie im Interview.

Apr 17, 2025 - 18:03
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Warum wir Parität brauchen: "Ohne Frauen – keine Demokratie!"

Wenn Prof. Dr. Laskowski Ungerechtigkeit sieht, handelt sie. Wie jetzt im Bundestag: Dort fehlen nämlich Frauen; gerade mal 32,4 Prozent der Abgeordneten ist weiblich. Die Juristin reicht aktuell eine Wahlprüfungsbeschwerde für Parität ein. Warum das längst überfällig ist, Frauen in der Politik nach wie vor benachteiligt sind und was wir dagegen tun können, erzählt sie im Interview.

BRIGITTE: Warum ist es gerade jetzt wichtig, sich für die Parität einzusetzen?

Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski: Weil der Frauenanteil im Deutschen Bundestag wieder zurückgegangen ist. Das liegt insbesondere daran, dass eine Partei, die ideologisch nicht viel von der Gleichberechtigung von Frauen hält, die AfD, nur sehr wenige Frauen in den Bundestag schickt. Auch CDU und CSU nominieren zu wenige Frauen im Verhältnis zu Männern. Das heißt: Hier können wir eine starke Bevorzugung von Männern erkennen, vor allem bei den Nominierten in den Wahlkreisen. CDU und CSU wissen, ihre Abgeordneten ziehen vor allem durch Direktmandate ein. Die Bevorzugung von Männern gerade in den Wahlkreisen ist aber parteiübergreifend erkennbar – damit wird auch das Problem deutlich: Es fehlt die tatsächliche Chancengleichheit von Frauen im Rahmen der Nominierung.

Aus einigen Parteikreisen kommen doch immer Beteuerungen, die Tür sei für Frauen offen, sie kämen nur nicht…

Das ist Unsinn. Das vermeintliche Argument, wir finden keine Frauen, ist vorgeschoben. Im Übrigen: allen Parteien steht es frei, wenn sie wirklich der Meinung sind, unter den eigenen Parteimitgliedern keine ausreichende Zahl von Frauen finden zu können, auch parteilose Frauen zu nominieren, die der Partei nahestehen. Wenn man Frauen finden will, dann findet man Frauen auch. 
Alle Parteien haben ausreichend Frauen, um sie zu nominieren, selbst die AfD. Auch wenn wir erkennen, dass in einigen Parteien weniger Frauen zu finden sind als Männer. Diese Parteien müssen sich einmal an die eigene Nase fassen und sich fragen: Wieso sind wir denn so unattraktiv für Frauen? Zack, da sind wir bei den internen Strukturen.

Erfüllen die Parteien ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, wenn sie sich derartig männlich borniert verhalten?

Welche sind das?
Frauen sind vernunftbegabte Wesen. Sie gucken sich das an und sagen sich: Ich habe nur begrenzte Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten (und darum handelt es sich ja bei der inneren Parteitätigkeit), ich habe einen Job, Kinder, im Regelfall ältere Familienangehörige, die ich betreuen muss, vielleicht einen Mann, mit dem ich mich ab und zu unterhalten möchte. Wenn ich sehe, dass ich mit meinen Vorstellungen und Ideen ausgebremst werde, weil diese Ideen bei den vielen Männern in der Partei nicht ankommen, weil sie keine Veränderungen wollen und die weibliche Perspektive fehlt – dann sage ich, wenn ich zum dritten Mal gegen die Wand gelaufen bin: Es reicht mir. Ich muss mir das Männergedöns nicht antun.

Und wie kann man dagegen rechtlich vorgehen?

Da muss man sich natürlich fragen: Erfüllen die Parteien eigentlich ihren verfassungsrechtlichen Auftrag, wenn sie sich derartig männlich borniert verhalten? Nein. Denn ihr Auftrag ist es, die gesellschaftspolitischen Ideen des Volkes, heißt beider Volkshälften, in das Parlament zu bringen. Diesen Auftrag erfüllen sie nicht ausreichend. Daher sollten die Parteien durch gesetzliche Maßnahmen dazu gebracht werden. 

Warum ist das wichtig? 

Weil die Lebenswirklichkeiten von Frauen und Männern anders aussehen. Unterschiedliche Themen sind für sie wichtig. Wenn aber Perspektiven und Themen von Frauen in der Politik kein Gewicht haben, weil sie im Parlament nicht ausreichend zur Sprache kommen und bei politischen Entscheidungen nicht ausreichend berücksichtigt werden, führt dies zu fehlerhaften politischen Entscheidungen, zum Nachteil von Frauen.


Sie erwähnten zusätzlich die Direktmandate als Diskriminierungsfalle. Was hat Geld damit zu tun, ob Frauen sich als Wahlkreiskandidatin nominieren lassen können, oder nicht?

Wir finden hier ein Einfallstor für mittelbare, faktische, verschleierte Diskriminierung von Frauen, die gerne nominiert werden möchten. Ein Wahlkampf einer Kandidatin oder eines Kandidaten muss letztlich aus privaten finanziellen Mitteln bestritten werden. Die Partei gibt einen kleinen Betrag mit auf den Weg, in der Größenordnung von 3.000-5.000 Euro. Das reicht aber nicht. Der eingesetzte Betrag nimmt im Regelfall die Größenordnung eines Kleinwagens ein – bei Kandidatinnen und Kandidaten der großen Volksparteien (CDU/CSU, SPD) in den Flächenstaaten (Niedersachsen, NRW etc.). Wie kommt man an das Geld? Nun, klassischerweise nimmt man einen Privatkredit auf. Würde aber eine alleinerziehende, alleinstehende, halbtagsbeschäftigte Mutter zweier Kinder einen solchen Kredit bekommen? Nein. Wie sieht es mit Frauen aus, die wegen Betreuungspflichten gar keiner Erwerbstätigkeit nachgehen? Keine Aussicht.

Wie lässt sich diese Ungerechtigkeit lösen?

Durch gesetzliche Regelungen, die den Einsatz von Geld im Wahlkampf beschränken. Solche Regelungen gibt es z.B. in Großbritannien. Der britische Gesetzgeber hat eine Obergrenze eingeführt, die sich an der Anzahl der wahlberechtigten Personen in einem Wahlkreis orientiert. Pro Person darf nur ein bestimmter Betrag von den Kandidaten und Kandidatinnen eingesetzt werden, mehr nicht. Auf diese Weise könnte man finanzielle Chancengleichheit für die Kandidierenden erreichen.

Die politische Realität zeigt: Wenn die Frauenperspektive im Parlament fehlt, dann führt das zu einer defizitären, fehlerhaften und infolgedessen schlechten Politik.


Es gibt also Lösungsansätze aus anderen Ländern. Was wäre Ihrer Meinung nach denn hierzulande der Hebel, um eine Gleichberechtigung in der Politik durchzusetzen?

Die Lösung wäre ein Paritätsgesetz, das für ein gleichmäßig mit Frauen und Männern besetztes Parlament sorgt. Wenn man sieht, dass sich die meisten Parteien seit 76 Jahren freiwillig nicht bewegt haben, um ihre inneren Strukturen zu reformieren und durch eine entsprechende Nominierungspraxis für die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern im Parlament zu sorgen, ist der Gesetzgeber aufgerufen. Er muss dafür sorgen, einen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Seit Beginn der Bundesrepublik gab es noch nie einen Bundestag, in dem ebenso viele Frauen wie Männer saßen und über die "Spielregeln" der Gesellschaft entschieden. 
 

Silke Laskowski

© Silke Laskowsi

Es geht hier nicht um exotische Vorstellungen von Frauen: Schon im Parlamentarischen Rat 1949 war klar, dass sich die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auf alle Rechts- und Lebensbereiche bezog, auch auf den Bereich der Politik und auf die staatsbürgerlichen Rechte von Frauen und Männern, also ihr aktives und passives Wahlrecht. Maßgeblich ist Artikel drei, Absatz zwei, Satz 1 des Grundgesetzes: "Frauen und Männer sind gleichberechtigt". Dieses Grundrecht enthält den Anspruch auf gleiche Teilhabe von Frauen in allen Bereichen, es ist zudem seit 1949 mit einem in Satz 1 enthaltenen Verwirklichungsgebot verbunden, das sich an den Gesetzgeber richtet. Das heißt, der Gesetzgeber ist aufgerufen, in allen gesellschaftlichen und rechtlichen Bereichen die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen durchzusetzen. Aber diese Verpflichtung hat er von vornherein ignoriert.

Und wenn Männer behaupten, sie würden sich ja auch für die Belange von Frauen einsetzen?

Die Realität spricht dagegen. Den angeblich geschlechtsneutralen Abgeordneten gibt es nicht. Die politische Realität zeigt: Wenn die Frauenperspektive im Parlament fehlt, dann führt das zu einer defizitären, fehlerhaften und infolgedessen schlechten Politik. Denn Themen, die Frauen betreffen, werden zur Seite geschoben und marginalisiert. Das erleben wir bis heute. Um diesen Zustand zu ändern, brauchen wir ein Paritätsgesetz, damit Frauen dorthin kommen, wo Männer schon seit 1949 zahlreich zu finden sind – in der Wirtschaft, in Hochschulen, in der Verwaltung, in allen Bereichen. In dieser Gesellschaft fehlen überall Frauen, auch weil sie durch die Interpretation des geltenden Rechts ausgebremst werden.

Paritätsgesetz, Wahlprüfungsbeschwerde – das klingt alles immer sehr abstrakt, wie sind die konkreten Auswirkungen für Frauen in allen Lebenslagen?

Das Gesetz ist eine Notwendigkeit, es wird sich im täglichen Leben von allen Frauen auswirken. Warum? Weil wir dann die berechtigte Erwartung haben dürfen, dass die Gesetze, die auf einem gleichberechtigten Blick basieren, zu gleichberechtigten Ergebnissen führen. 
Ein Beispiel: alle Frauen haben einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Tätigkeit. Dieser Anspruch steckt in dem simplen Satz: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Aber dennoch werden Frauen real seit 1949 schlechter bezahlt als Männer, dies zeigt der sogenannte Gender Pay Gap. Es geht um verfassungswidrige Entgeltdiskriminierung von Frauen – ein Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Aus dieser Entgeltdiskriminierung von Frauen resultiert die Altersarmut, die vor allem Frauen betrifft. Ein paritätisches Parlament würde sich sicher stärker dafür einsetzen, diesen verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen.

Ein anderes Beispiel sind Frauenhäuser – sie fehlen bekanntlich überall. Und wenn es sie gibt, sind sie chronisch unterfinanziert. Dieser Bereich fällt primär in die Verantwortung der Bundesländer. Dort fehlt nicht nur die ausreichende Finanzierung, es fehlt auch an rechtlichen Grundlagen. Da fragt man sich und frau noch mehr: Weiß der Staat nichts von der ihm obliegenden verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit und das Leben aller Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik, die er gewährleisten muss? In der Vergangenheit war es so. Denn es waren Frauen selbst, die dafür sorgten, dass Frauenhäuser entstanden, um Frauen Schutz vor schlagenden Männern zu bieten – im Zuge der Frauenbewegung in Westdeutschland entstand das erste Frauenhaus 1976 in Westberlin, danach in den Achtzigern überall in der Bundesrepublik in Eigenregie der Frauen. Der Staat interessierte sich nicht. Und auch heute scheint es nicht anders. Die Landesregierungen und Landesparlamente zeigen kein ernsthaftes Interesse. Liegt das vielleicht daran, dass auch dort zu 70 Prozent Männer sitzen?

 Wir haben gelernt: wir kommen nicht weiter, wenn wir warten.

Okay, wir brauchen also dringend ein Paritätsgesetz und die Wahlprüfungsbeschwerde ist ein Vehikel dafür – aber wie kann ich mich dafür einsetzen, wenn ich nicht in der Politik bin?

Die Wahlprüfung bezieht sich auf die zu geringe Anzahl von Parlamentarierinnen im neuen Bundestag und läuft wie folgt ab: Zunächst muss beim Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl 2025 eingelegt werden, innerhalb einer Frist, die in unserem Fall am 23.4. abläuft. Der Bundestag prüft dann, ob das geltende Wahlrecht, das sich auch auf die Nominierung im Vorfeld der Wahl bezieht, fehlerfrei angewendet wurde. Alle Wahlberechtigten, Frauen und Männer, sind eingeladen, an diesem Wahlprüfungsverfahren teilzunehmen. Dazu findet man auf www.paritaetjetzt.de ein Formular, das ausgefüllt und an die dort angegebene Adresse gesendet werden soll. Je mehr Personen teilnehmen, desto besser! Nach der zu erwartenden Zurückweisung des Einspruchs durch den Bundestag – ich denke in zwei Jahren – kann anschließend das Bundesverfassungsgericht angerufen werden, um die Entscheidung des Bundestages verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen. Ich hoffe auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kurz vor der nächsten Bundestagswahl. Wie auch immer diese Entscheidung ausfällt – dann sind wir einen großen Schritt weiter.

Das heißt, wir haben eine Langstrecke vor uns – und bereiten uns mit der Beschwerde schon auf die nächste Wahl vor?

So kann man es sehen. Wir haben gelernt: Wir kommen nicht weiter, wenn wir warten. Es ist an sich eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit, dass zur Hälfte Frauen und Männer in der Politik entscheiden. Der jetzige Zustand ist davon weit entfernt und nicht zu rechtfertigen. Parität wird in Deutschland negiert, obwohl wir in Europa schon viel weiter sind. Denn das europäische Demokratieverständnis setzt die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen voraus. Nicht nur theoretisch. Es gibt in der Europäischen Union bereits elf Mitgliedsstaaten, die Paritätsgesetze erlassen haben. 2019 ergänzte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Rechtsprechung und stelle klar: Paritätsgesetze sichern die demokratische Legitimation von Wahlen. Damit ist alles gesagt:
Ohne Frauen – keine Demokratie. Ausrufezeichen!