Starke Unternehmerinnen erzählen: Selbstbestimmt statt höher, schneller, weiter

In der Lebensmitte noch mal durchstarten – mit einem eigenen Business? Sabine Votteler war 49, als sie sich selbstständig machte. Seitdem berät sie Frauen und Männer, die in ihrem Beruf feststecken

Apr 19, 2025 - 12:09
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Starke Unternehmerinnen erzählen: Selbstbestimmt statt höher, schneller, weiter

In der Lebensmitte noch mal durchstarten – mit einem eigenen Business? Sabine Votteler war 49, als sie sich selbstständig machte. Seitdem berät sie Frauen und Männer, die in ihrem Beruf feststecken

BRIGITTE: Sie helfen Menschen, die eigentlich beruflich erfolgreich sind. Warum kommen die überhaupt zu Ihnen?

Sabine Votteler: Viele haben das Gefühl, in einem goldenen Käfig zu sitzen: Sie haben einen guten Job mit einem entsprechenden Gehalt, sind aber schon seit Jahren frustriert. Die meisten von ihnen würden gerne etwas anderes machen, wissen aber oft nicht genau, was. Oder sie würden sich gern selbstständig machen, wissen aber nicht genau, wie. Das Einzige, was sie wissen, ist: So geht es nicht mehr weiter.

Klingt nach Midlife-Crisis …

Oft ist es das auch. Mit Mitte vierzig oder Anfang fünfzig wird den meisten Menschen bewusst, dass das Leben endlich ist, und sie fragen sich: Ist das eigentlich sinnvoll, was ich tue? Die eigenen Werte verändern sich. Statt höher, schneller, weiter will man selbstbestimmter leben, flexibler arbeiten, freier entscheiden. Und oft gibt es plötzlich mehr Freiraum, weil die Kinder schon groß oder aus dem Haus sind.

Selbstständigkeit könnte dann ja tatsächlich eine ziemlich gute Idee sein, oder?

Nicht, wenn sie nur eine Notlösung ist, weil man glaubt, mit 50 sei es schwierig, einen guten Job zu finden.

Was ist denn ein gutes Motiv, um mit 50 zu gründen? Und ist das überhaupt sinnvoll?

Absolut! Das Allerwichtigste ist der Spaß an der Sache, egal ob mit 20 oder mit 50. Ich will etwas tun, was mich zutiefst erfüllt und befriedigt. Dafür kann ich mich fragen: Worin gehe ich auf? Was macht mir Freude? Worauf habe ich richtig Lust? Wenn ich das mit meinen Stärken und meiner Erfahrung verbinde, habe ich meinen "Sweet Spot" gefunden, also die perfekte Kombination aus Talent, Leidenschaft und Expertise. Daraus ergibt sich zwar noch keine konkrete Geschäftsidee, aber immerhin das Thema meiner künftigen Selbstständigkeit.

Und dann …?

… kommt der Realitätscheck. Ich muss herausfinden, ob das, was ich mir als Unternehmen für mich vorstelle, der Wirklichkeit entspricht. Zum Beispiel, indem ich Gespräche mit Menschen führe, die das tun, was ich auch gerne täte. Außerdem ist es unerlässlich, Zielgruppen-Interviews zu führen, um wirklich relevante Probleme zu identifizieren, die ich mit meinem Angebot lösen kann. Wenn sich das alles gut anfühlt, suche ich mir einen ersten Testauftrag; am leichtesten geht das über das eigene Netzwerk. Danach weiß ich, ob meine Idee grundsätzlich funktioniert – oder eben nicht.

Was ist denn grundsätzlich sinnvoller: haupt- oder nebenberuflich zu gründen?

Das kommt drauf an. Wer im Job stark eingespannt ist, dem gelingt es kaum, sich nach Feierabend auf sein eigenes Projekt zu konzentrieren. Wer finanziell allerdings kaum Puffer hat, könnte versuchen, mit einer reduzierten Arbeitszeit zu starten, dann wäre der Druck nicht zu groß. In jedem Fall empfehle ich, sich eine Frist zu setzen und das Ganze als Projekt zu betrachten. Danach muss dann eine Entscheidung her.

Worauf muss ich mich einstellen, wenn ich dann loslege?

Dass ich bereit sein sollte, meine finanziellen Ansprüche zurückzuschrauben – zumindest eine Zeit lang. Und dass es meistens länger dauert, als man denkt. Wer darauf keine Lust hat, ist aus meiner Sicht für die Selbstständigkeit nicht geeignet.

Gründen Frauen eigentlich anders als Männer?

Nein. Beide stellen die gleichen Fragen und haben die gleichen Existenzängste. Nur wenn es um Sichtbarkeit geht, stehen sich Frauen mehr im Weg als Männer – egal, wie viele Vorträge sie schon vor großem Publikum gehalten haben. Sobald sie nicht als Vertreterin eines Unternehmens auf der Bühne stehen, sondern sich selbst anpreisen müssen, tun sie sich oft schwer.

Was hat Sie an Ihrem eigenen Wechsel in die Selbstständigkeit am meisten überrascht?

Wie viel ich seitdem über mich gelernt habe – es ist eine Reise in Persönlichkeitsentwicklung. Und auch, was für eine riesige Rolle jenseits von Wissen, Fähigkeiten und Fleiß das eigene Mindset spielt. Ob mir etwas gelingt oder nicht, hat viel mit meiner inneren Haltung zu tun. Und die kann ich verändern. Statt in Aktionismus zu verfallen, weiß ich inzwischen, dass ich in manchen Situationen mit Geduld und Gelassenheit mehr erreiche.

Drei Frauen – drei Wege in die Selbstständigkeit 

Mehr Sinn, bitte


© Christoph R

Birgit Langebartels, 56, Psychologin aus Köln

Vorher: Angestellt beim Marktforschungsinstitut Rheingold

Nachher: Selbstständig als Marktforscherin seit Juli 2024 (b-forscht.de)

Als sie das erste Mal ernsthaft darüber nachdachte, sich selbstständig zu machen, war sie 50, hatte während einer dreimonatigen Auszeit ein Sachbuch geschrieben und gespürt: "Da ist noch so viel mehr in mir, das entdeckt werden will." Aber bei Birgit Langebartels' Arbeitgeber, dem Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold, warteten bereits interessante Projekte auf sie, und so rückte der Gedanke wieder in den Hintergrund. Doch mit jedem Jahr, mit dem sie sich der 55 näherte, wuchs ihre Sehnsucht nach Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit – und die Frage in ihr wurde lauter: "Wann, wenn nicht jetzt?" Sie legte los und begann, nach Feierabend die Gründung vorzubereiten. Ihre Idee: für künftige Kund:innen die tiefenpsychologische Marktforschung erlebbar zu machen – also nicht nur rational die Zielgruppen zu verstehen, sondern vor allem auch emotional. Monatelang plante sie, diskutierte mit ihrem Mann und fühlte sich zunehmend zermürbt zwischen Hauptjob und Herzensprojekt. Obwohl sie nur einen groben Businessplan hatte, beschloss sie: "Irgendwann muss man springen." Sie sprang: Seit Juli 2024 ist Birgit Langebartels selbstständig. Wie es läuft? Gut, auch dank ihrer Akquisen, die ihr sogar Spaß machen. Zu ihrer Kundschaft gehören Behörden, Agenturen und Unternehmen aus der Lebensmittelbranche. Sie schätzen es, dass Langebartels sie zu den mehrstündigen Interviews und Workshops mit den Proband:innen einlädt, denn daraus lässt sich viel lernen. Und Langebartels schätzt es, sich selbst kreativer einzubringen, indem sie z. B. Forschungsergebnisse in einem Poetry-Slam zusammenfasst. Oder auch mal Projekte übernimmt, die nicht viel Geld bringen, ihr aber wichtig sind. "Ich definiere Erfolg nicht nur finanziell, sondern auch durch die Sinnhaftigkeit meiner Projekte."

Idee trifft auf Hands-on-Mentalität


© Sylvia Knittel

Sylvia Knittel, 60, aus Stuttgart, hat Germanistik und Musikwissenschaften studiert

Vorher: Leitung der Unternehmenskommunikation bei einem Versicherungskonzern

Nachher: Geschäftsführerin eines Online-Anbieters für Gartentutorials und -webinare (seit 2022, campus-botanicus.de)

Als abzusehen war, dass ihre "Weinheimer Gartengespräche" im Herbst 2020 pandemiebedingt ausfallen würden, schlug die damals 71-jährige Christine Bahlo ihrer Freundin Sylvia Knittel vor: "Lass uns die Vorträge doch einfach online anbieten." Und weil Bahlo neben Ideen auch über ein großes Netzwerk verfügt, legten die beiden Frauen einfach los.

Sie suchten und fanden Vortragende unter anderem in der von Bahlo gegründeten Facebook-Gruppe "Pflanzen Enthusiasten", über die sich die beiden gut sechs Jahre zuvor auch kennengelernt hatten. „Ich habe dann eine Website gebastelt“, erzählt Knittel, 60. Als Leiterin für Unternehmenskommunikation kennt sie sich aus damit und betrieb als Buchautorin und autodidaktische Landschaftsfotografin schon damals ihre eigene Website. "Wir haben ziemlich schnell gemerkt, dass das funktioniert." Also wandelten sie die bislang kostenlosen Kurse um in Bezahlformate – und Knittel begann darüber nachzudenken, ausschließlich für den "Campus Botanicus" zu arbeiten. Für sie kein Weg von ihrem geliebten Job, sondern ein Hin zu etwas Neuem, Eigenem, zu etwas, "wo ich mit Freude die Extra-Meile laufe". Seit 2022 ist Syliva Knittel Geschäftsführerin des Portals. Ihre größten Herausforderungen: "Nichts wirklich delegieren zu können, einen eigenen Workflow einzurichten – und Buchhaltung." Und ihre größte Freude? "Eine inspirierende Geschäftsidee mit viel Entwicklungspotenzial."

Einfach machen


© Tina Weiss

Judith Bolsinger, 55, Sozialwissenschaftlerin aus Berlin

Vorher: Leiterin Akademie Handel e. V.in Nürnberg

Nachher: Selbstständig als Personalvermittlerin seit Juli 2024 (fachkraftinternational.de)

Über ihrem Schreibtisch hängt ein Zettel: "Machen!" hat Judith Bolsinger darauf geschrieben – "zur Selbstmotivation". Nötig wäre das vermutlich nicht. Denn seit Juli vergangenen Jahres macht sie als selbstständige Personalvermittlerin genau das, was sie will, an genau dem Ort, den sie mag: Berlin. Mehr als 20 Jahre hatte Bolsinger zuvor eine Weiterbildungsakademie für den Einzel- und Großhandel in Nürnberg geleitet. Dann absolvierte sie nebenher eine Coachingausbildung. Ihr Ziel: "Mich in meiner Persönlichkeit und Selbstreflexion weiterzuentwickeln." Kurz darauf, im Sommer 2023, schenkte ihr beim Abitreffen eine ehemalige Mitschülerin die Idee für ein eigenes Unternehmen: "Hol doch gut qualifizierte Talente aus Ländern, wo diese jungen Menschen nicht wirklich eine Chance haben." Und Bolsinger wusste: Die Verbindung mit ihren persönlichen Werten Autonomie, Freiheit und Sinnhaftigkeit hätte nicht besser matchen können. Zufällig hörte sie in einem Podcast von einem Sechs-Wochen-Online-Programm, das einen bei der Entwicklung eines Geschäftsmodells begleitet. Dadurch lernte Bolsinger, mögliche Zielgruppen zu befragen, entwickelte ein Angebot und ein Marketingkonzept. Ihr Paket garantiert Begleitung durch den Behördendschungel sowie die Integration der künftigen Mitarbeitenden. Vom Auftrag bis zur Ankunft des neuen Mitarbeiters dauert es zwischen vier und sieben Monaten. Inzwischen unterstützt die gut vernetzte 55-Jährige nicht nur kleine und mittelständische Unternehmen, die IT-Fachkräfte suchen, sondern auch Lebensmittelhändler beim Recruiting von Auszubildenden. "Das ist mein Herzensthema, und auch das läuft erfolgreich."