Persönlich, emotional und umwerfend animiert: Die ARD-Reihe »Hitlers Volk«

Diese Doku-Reihe über die NS-Zeit geht unter die Haut! Denn sie wird von persönlichen Geschichten bestimmt – und von animierten Szenen, die diese mit emotionaler Wucht umsetzen. Hier erzählt der Graphic Novelist Vincent Burmeister, wie sie ...

Apr 22, 2025 - 06:46
 0
Persönlich, emotional und umwerfend animiert: Die ARD-Reihe »Hitlers Volk«

Diese Doku-Reihe über die NS-Zeit geht unter die Haut! Denn sie wird von persönlichen Geschichten bestimmt – und von animierten Szenen, die diese mit emotionaler Wucht umsetzen. Hier erzählt der Graphic Novelist Vincent Burmeister, wie sie entstanden.

ARD/rbb HITLERS VOLK – EIN DEUTSCHES TAGEBUCH © rbb/astfilm productions/Vincent Burmeister

»Hitlers Volk – Ein deutsches Tagebuch« ist ab heute in der ARD Mediathek und ab dem 5. Mai im Ersten zu sehen – und ist ein Muss.

Entstanden ist die vierteilige Doku-Reihe zum 80. Jahrestag des Endes der NS-Herrschaft und nach Tagebüchern und Erfahrungsgeschichten, die einen mitten hinein in die Jahre 1933 bis 1945 führen und von Gefolgschaft und glühender Begeisterung erzählen, von Zerrissenheit, Verblendung, Hoffnung und Tod.

Acht deutsche Schicksale werden aufgeblättert und werfen einen ganz persönlichen Blick auf die NS-Zeit und das aus verschiedenen Perspektiven und durch die unterschiedlichen Schichten und politischen Lager hindurch.

Da ist der jüdische Lehrer Willy Cohn aus Breslau, der mit seiner Familie deportiert wurde, der fanatische Dresdner Lehrling Franz Schall, der als 18-Jähriger in die NSDAP eintritt, die junge Gärtnerin Inge Thiele, die einzig hofft, ihrer Armut zu entfliehen. Matthias Mehs, der in der Eifel einen Gasthof betreibt, schildert in seinen Tagebüchern, wie entsetzt er über die Gewalttaten ist und wie er versucht, seine Kinder von der NS-Propaganda fernzuhalten, während Luise Solmitz, die in Hamburg mit einem Juden verheiratet ist, Hitler glühend verehrt und gleichzeitig erlebt, wie die NS-Politik ihrer gut situierten Familie immer stärker zusetzt.

Auf der Suche nach den Lebensgeschichten hat das Drehbuch- und Regieteam um Eva Röger das Internet nach Tagebüchern durchforstet, die von Familienangehörigen im Selbstverlag veröffentlich wurden, hat in Forschungsliteratur und in Stadtarchiven und Gedenkorten wie dem KZ Osthofen recherchiert, der Topographie des Terrors in Berlin oder dem Leo Baeck Institute New York.

Und gefunden hat es Aufzeichnungen, die mitten aus dem Leben erzählen, von kleinen Begebenheiten und großen Ereignissen, davon, wie die Repressalien immer mehr zunahmen, Karrieren blühten und wie die Menschen in Deutschland den Alltag im Zweiten Weltkrieg erlebten.

ARD/rbb HITLERS VOLK – EIN DEUTSCHES TAGEBUCH, © rbb/astfilm productions/Vincent Burmeister

Mitten ins Leben und die Gefühlswelten hinein

Vor allem aber wurden die Tagebuchaufzeichnungen, die den Vierteiler bestimmen, von dem Berliner Graphic-Novel-Artist Vincent Burmeister in Animationen mit emotionaler Wucht übersetzt.

Er gibt den Erzählenden ein Gesicht, führt mitten hinein in die Gedanken und die »Seelenlandschaften« und das mit einer Intensität, die lange nachhallt und immer wieder und dazu mit erschreckender politischer Aktualität, die Frage aufkommen lässt, wie man sich selbst verhalten hätte.

Was für ein großes, komplexes und spannendes Projekt. Deine Illustrationen sind zentral in »Hitlers Volk«, setzen den Ton und bringen einem die verschiedenen Personen nahe. Wie kommt man zu einem solchen Auftrag?
Vincent Burmeister: Hier muss ich etwas ausholen. Eigentlich habe ich jahrelang als Comiczeichner und Illustrator gearbeitet. Im Herbst 2020 wurde ich von Blindcat/Radio Bremen angefragt ob ich mit Animationen die Erinnerungen von Auschwitz-Überlebenden für eine Dokumentation über den Film Zeugen visualisieren könnte. Ich hatte vorher schon einige Male Standbilder fürs ZDF illustriert, aber das waren meine ersten Animationen, die einige Aufmerksamkeit auf sich zogen und zum Beispiel Astfilm, die Produktionsfirma hinter Hitlers Volk auf mich aufmerksam machten. 2022 haben wir dann die Reihe Stalin – Leben und Sterben eines Diktators für ARTE zusammen geschaffen. Hierfür habe ich Episoden aus den letzten Tagen Stalins in Graphic-Novel-Animationen übersetzt. Da die Zusammenarbeit sehr gut funktionierte war ich dann auch für Hitlers Volk die erste Wahl und es war ein großer Wunsch der Produzenten die Animationen als eines der zentralen Erzählelemente einzubinden.

Es war also kein Neuland für dich. Aber sicherlich dennoch eine Herausforderung, oder?
Insgesamt habe ich nun schon eine gute Routine darin historische Stoffe als Animationen aufzuarbeiten und auch schon einen ganz guten Werkzeugkasten parat, wie ich die Arbeit angehe. Eine Herausforderung war diesmal die schiere Anzahl und Vielfalt der Orte, Personen, Atmosphären und Gegenstände. Ich habe noch nicht nachgezählt, aber es waren am Ende sicher um die 100 verschiedene Haupt-und-Nebencharaktere, teilweise auch in verschiedenen Altersstufen, mit ihren speziellen Bekleidungen, Uniformen, Frisuren, dazu verschiedenste Szenerien, von einer Kaffeestube in einem Dresdner Vorort über die ein jüdisches Auswanderercamp in Palästina, die hakenkreuzbeflaggte Friedrichstraße, Luftschutzbunker bis hin zu schlammigen russischen Schlachtfeldern war wirklich alles dabei. Was ich und meine kleine Zahl an freiberuflichen Mitarbeitern da zu recherchieren und gestalten hatten, war wirklich außergewöhnlich. Für mich absolut neu war nicht nur mich selbst, sondern die Arbeit von mehreren Leuten zu koordinieren, während ich ja selbst auch jeden Tag gestalten musste.

ARD/rbb HITLERS VOLK – EIN DEUTSCHES TAGEBUCH, © rbb/astfilm productions/Vincent Burmeister

Wie hast du dich in das Dokumentarmaterial und die einzelnen Personen eingearbeitet?
Das ist für mich ein sehr organischer Prozess, der fast automatisch abläuft. Zuerst lese ich mich etwas ein in die Biographie der Personen, sowie in einige ihrer Tagebucheinträge und sichte das meist eher spärliche Bildmaterial. Aber schon ab diesem Punkt habe ich meist ein recht gutes Bild davon, wie ein Charakter tickt. Während ich die Storyboards für die einzelnen Szenen erstelle, schließt sich dann sehr viel Recherchearbeit an mit der ich mein Verständnis und meine Vorstellung über das Leben und Sein der Figuren dann immer weiter vertiefe. Es fällt mir gar nicht so leicht das zu beschreiben, da es sich eher als ein emotionaler Prozess gestaltet, der als Nebenprodukt meiner manchmal ausufernden Recherche entsteht.

Warst du auch auf irgendeine Weise in die nichtanimierten Teile der Dokumentation involviert? Manchmal fließen sie ja mit deinen Animationen zusammen?
Auf das weitere Bildmaterial der Dokumention hatte ich keinen Einfluss, habe mich aber natürlich von allem, was ich gesehen habe, inspirieren und informieren lassen. Wir waren immer bemüht das historische Material möglichst nahtlos mit den Animationen zu verzahnen, um den Fluss der Erzählung zu bewahren. Viele Elemente wurden dort bereits von der Produktion vorbereitet, als Beispiel eine Szene in der die Protagonistin beim Tagebuchschreiben auf die Spatzen auf dem Fensterbrett schaut, von dort wird dann in historisches Filmmaterial mit derselben Szenerie aus einer anderen Perspektive übergeblendet, um beides zu verknüpfen.

Kannst du etwas zu den verschiedenen Stilen sagen, die sich durch die animierten Teile ziehen?
Zuallererst: Ich liebe einfach Texturen! Sie sind für mich so etwas wie Gewürze und ich kann mir nicht vorstellen ohne sie zu arbeiten. Mein stilistisches Hauptvorbild für die Animationen war unter anderem Eduard Thöny. Ein Simpilzissimus-Illustrator, der das Kaiserreich und vor allem das Militär gerne in seinen Karikaturen aufs Korn genommen hat. Neben seiner wunderschönen Linienführung sind seine Bilder unfassbar reich an verschiedenen Schraffuren, Lasuren, Spritzern, Farbflächen, Deckweiß, durchscheinendem Papier, Rasterpapier und vielem mehr es ist eine Freude sich die Sachen anzuschauen. Für mich war es dann ebensolche Freude diesen Reichtum in die Welt der Animationen zu überführen. Dann werden Schwarzweiß und Farbe kombiniert.

ARD/rbb HITLERS VOLK – EIN DEUTSCHES TAGEBUCH, © rbb/astfilm productions/Vincent Burmeister

Genau, das Dokumentarmaterial ist zum Teil koloriert. Hat das Einfluss auf deine Arbeit genommen?
Das Stilmittel Schwarzweiß und Farbe zu kombinieren habe ich zum ersten mal in meiner Graphic Novel Kriegszeiten eingesetzt, auch bei der Stalin Dokumentation bin ich ähnlich vorgegangen. Für mich ist es eine Möglichkeit gleichzeitig das Geschichtliche der Erzählung zu betonen und trotzdem Farben als emotionale und verbindende Elemente zu benutzen. Für die Entwicklung der Palette lasse ich mir dann auch recht viel Zeit, bis ich das Gefühl habe alle Szenen und Gefühle damit abdecken zu können. Ich schätze es sehr mit begrenzten Paletten zu arbeiten, weil sie einen immer wieder zu ungewöhnlichen und dadurch neuen Lösungen zwingen. Dass die Farben sehr gut zum nachkolorierten Dokumentarmaterial passten, hat uns dann allen das Gefühl gegeben, ja so funktioniert es.

Gleichzeitig ist das Dokumentarmaterial teilweise mit Illustrationen von dir kombiniert, die Weiß auf schwarzem Hintergrund sind.
Die ersten Skizzen und Anmutungen für das Projekt reichen schon recht weit zurück, damals hatte ich für einige Bilder mit diesem invertierten Stil experimentiert. Wir haben im Laufe der Zeit bemerkt, dass wir einzelnen Sequenzen durch diese Bearbeitung noch mal eine andere Tiefe geben können. Sowohl persönliche Schock-oder-Schicksalsmomente für die Protagonisten können damit markiert werden aber auch das Gefühl der Entfremdung.

Die gezeichneten Sequenzen gehen unter die die Haut und sind sehr intensiv und emotional. Wie wichtig war dir Emotion und wie hast du es geschafft da den genau richtigen Ton zu treffen?
Die Gefühle der Protagonisten zu übertragen war immer mein Hauptanliegen und sehe ich auch als meine Mission. Es besteht ja immer die Gefahr mit den Dokumentaraufnahmen bei den Zuschauenden ein Gefühl von »Ach ja, alles schon gesehen« zu wecken, auch wenn hier wirklich ganz viel Besonderes an alten Aufnahmen zusammengetragen wurde. Da will ich mit den Animationen natürlich dagegen halten und auf ein Mitfühlen, Miterleben hinarbeiten. Ob ich da immer den richtigen Ton getroffen habe, dass kann ich nur hoffen. Meine Herangehensweise ist immer, die Figuren sehr ernst zu nehmen, selbst solche, deren Ansichten ich verachte und sie als komplexe Wesen, mit ihren Schicksalen und Herausforderungen zu erfassen. Wenn es mir gelungen ist die Zuschauer die Zuschauer dahin mitzunehmen, dann habe ich schon viel erreicht.

ARD/rbb HITLERS VOLK – EIN DEUTSCHES TAGEBUCH, © rbb/astfilm productions/Vincent Burmeister

Was hast du da aus deiner sonstigen Arbeit mitgenommen?
Mich in Personen hineinversetzen zu können, egal ob fiktional oder historisch, steht für mich immer im Mittelpunkt. Darüber hinaus, zumindest wenn man sich mit Haut und Haar so einer Arbeit verschreibt, bringt man ja alles mit was man jemals gemacht, erlebt gedacht hat und versucht so viel davon einzubringen wie möglich.

Und wie war die Beschäftigung mit dem Thema generell für dich?
Für mich war es ja nun schon der vierte Film, der sich mit der Nazi-Diktatur befasst. Da die drei anderen zum Teil ganz tief in das System der Konzentrations- und Vernichtungslager eintauchen, war Hitlers Volk für mich tatsächlich weniger belastend als andere Dinge, die ich schon bearbeitet habe. Die Parallelen zu heute sind zweifellos schockierend, haben mir gleichzeitig aber eine immense Motivation gegeben. Ich hoffe das Gefühl vermittlen zu können, dass Geschichte kein Zug ist, der auf einer Schiene sitzt, sondern, dass wir im Jetzt gestalten, verändern und verhindern können. Durch die Tagebucheinträge ist es möglich, das Geschehene einmal nicht aus der Distanz und aus einer gewissen Überheblichkeit der Nachgeborenen heraus zu betrachten, sondern zu erfahren, wie es ist, während unfassbarer Umwälzungen zu leben und, dass es für die Zeitgenossen gar nicht so leicht ist, die Dimension der Geschehnisse einzuordnen.

Hitlers Volk – Ein deutsches Tagebnuch, ab heute in der ARD Mediathek, ab dem 5. Mai 2025 um 22.50 Uhr im Ersten zu sehen.