Vom Laufsteg ins Regal : Bücher sind das neue Statussymbol – und ich find's gut!

Erst kam #BookTok, jetzt werden Bücher sogar auf dem Laufsteg als It-Piece eingesetzt. Bücher avancieren immer mehr zum Statussymbol, aber im positiven Sinne. Denn: Im Vergleich zur Designertasche sind die wenigstens erschwinglich.

Apr 22, 2025 - 19:00
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Vom Laufsteg ins Regal : Bücher sind das neue Statussymbol – und ich find's gut!

Erst kam #BookTok, jetzt werden Bücher sogar auf dem Laufsteg als It-Piece eingesetzt. Bücher avancieren immer mehr zum Statussymbol, aber im positiven Sinne. Denn: Im Vergleich zur Designertasche sind die wenigstens erschwinglich.

Die Bildschirmzeit eines durchschnittlichen Erwachsenen in Deutschland beträgt 3,5 Stunden pro Tag, Bücher lesen wir weniger als 30 Minuten. Online-Streamingdienste und Social-Media-Plattformen haben uns immer mehr in ihren Bann gezogen. Ein Buch taugte vielleicht noch als Statussymbol der Elite, in der Popkultur und bei jüngeren Menschen hatte es weitestgehend an Bedeutung verloren. Ich – selbst Gen Z – meine mich zu erinnern, dass Lesen vor nicht allzu langer Zeit sogar als uncool abgestempelt wurde. Das hat sich geändert. 

Das Buch ist back – ein Glück

Wer hätte es gedacht, aber: Die richtig dicken Wälzer sind zurück! Rory Gilmore aus der Serie "Gilmore Girls", Kultfigur und personifizierte Leseratte, die tagein, tagaus mindestens drei Bücher in ihrem Rucksack mit sich rumschleppte – für jede Gefühlslage eins –, ist ab sofort unser neues altes Vorbild.

Bücher haben sich zum schicken Accessoire gemausert. Sogar Celebrities wie Kaia Gerber oder Kendall Jenner klemmen sich neuerdings statt Chanel-Bag lieber ein Buch unter den Arm. Und der Designer Daniel Del Core schickte seine Models mit Büchern von Hannah Arendt, Judith Butler und Susan Sontag über den Laufsteg. Schuld daran sind: #BookToker, die auf TikTok Bücher bewerten und abfeiern, sowie Bücherklubs von Stars, Vorreiterin war hier Schauspielerin Reese Witherspoon mit ihrem "Reese's Book Club". 

Während die Promiwelt nicht ganz auf Status und Exklusivität verzichten möchte, – so schmückt man sich hier gern mit 'echten' Klassikern von Jane Austen bis Oscar Wilde – finden viele 'Normalos' den Trend gerade erfrischend, weil ein Buch im Vergleich zur Luxustasche eben erschwinglich ist. Durch Gebrauchthändler, Flohmärkte und Büchertauschbörsen kommt man sogar noch günstiger an die guten Stücke ran. 

Buchklubs sprießen aus dem Boden, zudem sind die Räume des Austauschs offener geworden und nicht nur Intellektuellen und Akademiker:innen vorbehalten. Ich bin selbst seit einiger Zeit Teil eines feministischen Lesezirkels und finde es ganz großartig, mich einmal im Monat mit Gleichgesinnten zu treffen und über die liebsten Schmöker auszutauschen. Und so geht es scheinbar nicht nur mir. Statt auf Instagram und Netflix 'abzuhängen', greifen viele wieder vermehrt zum Buch. Aber woher rührt der Wandel? Sehnen wir uns in der schnelllebigen Online-Welt vielleicht nach einem Zufluchtsort? Nach Nostalgie und etwas Echtem, das wir physisch in den Händen halten können?

Lesen als Trend gegen den digitalen Zeitgeist?

Was dagegen spricht, ist, dass die Social-Media-Plattform TikTok zu großem Maße für den Aufschwung der Belletristik verantwortlich ist. 2024 wurden in Deutschland unter dem Hashtag #BookTok über 25 Millionen Bücher verkauft. "#BookTok hat es geschafft, das Image des Lesens komplett zu verändern – plötzlich ist es wieder cool, über Bücher zu sprechen, sie zu zeigen und gemeinsam zu erleben", sagte Felicia Hofmann, Marketing-Managerin des dtv-Verlags gegenüber "dpa". Das Schöne: Durch TikTok wird ein Medium, das ursprünglich für Bildungsbürgertum stand, einer breiteren Masse zugänglich.  

Unter dem Hashtag tauschen sich User:innen vor allem über emotionale Aspekte aus – die Gefühle stehen im Vordergrund. Hat die Geschichte mich berührt? Konnte ich mit den Figuren relaten und mitfiebern? Oder sogar Was hat mich zum Weinen gebracht? Sehr beliebt sind die Genres New Adult und Romance, die hauptsächlich junge Frauen ansprechen sollen. Der BookTok-Boom könnte auch mit dafür verantwortlich sein, dass die Lese-Gap zwischen den Geschlechtern größer wird. Laut "Destatis" verbrachten 2024 Frauen und Mädchen im Schnitt 30 Minuten am Tag mit Lesen, während es bei Jungen und Männern nur 24 Minuten waren.

Obwohl der Hype gerade bei jungen Menschen vor allem im Digitalen stattfindet, haben die Zahlen doch einen Einfluss auf den Buchhandel. "Unsere Daten zeigen, dass Bücher, die auf TikTok viral gehen, einen messbaren Einfluss auf den Buchhandel haben – das reicht von Young Adult und Romance bis hin zu Sachbüchern und Reiseliteratur", sagt Geschäftsführerin Ulrike Altig von Media Control gegenüber der "Berliner Zeitung".

Eskapismus, hallo 

Den Aufschwung des Buchs könnte man also als Trend bezeichnen, der aus dem digitalen Zeitgeist entsprungen ist. Das Internet bietet uns auf der einen Seite gerade wenig Neues, auf der anderen Seite möchten wir uns der Informationsflut und dem Überkonsum entziehen, weswegen viele Menschen dazu tendieren, in ihrer Freizeit wieder Hobbys mit Nostalgie-Faktor nachzugehen. Dazu gehören nicht nur Bücher, sondern auch Schallplatten oder Handarbeiten wie Stricken, Häkeln oder Töpfern.

Professor Dr. Tobias Becker, Historiker an der Freien Universität Berlin, forscht unter anderem zum Thema Nostalgie und erklärt den Wunsch nach Eskapismus und die zumindest teilweise Abkehr vom Digitalen gegenüber "Vogue" wie folgend: "Wir leben in einer Kultur der ständigen Zerstreuung. Ich glaube, wir haben einen Punkt erreicht, an dem das Internet nicht mehr so aufregend ist. Gerade gewinnen sogar Videotheken wieder an Beliebtheit – nicht weil früher alles besser war, sondern weil wir heute von gewissen Dingen genervt sind."

Ich erkenne das bei mir selbst. Teils war der Wunsch, der ständigen Erreichbarkeit zu entkommen, so groß, dass ich kurz davor war, mein Handy einfach wegzuwerfen oder zumindest mein Instagram-Konto zu deaktivieren. Im Gegensatz dazu, löst allein der Gedanke daran, es mir mit einem Buch und einem Tee auf dem Sofa gemütlich zu machen, ein wohliges Gefühl in mir aus. Meine Bildschirmzeit tausche ich auch in Zukunft liebend gern gegen Buchzeit ein – ob nun Trend, oder nicht.