Psychologie: Wieso unser inneres Team der Schlüssel zu guten Entscheidungen ist
Vom inneren Kind haben die meisten von uns inzwischen gehört. Warum das "innere Team" viel wichtiger ist, um unsere Psyche zu verstehen – und wie du es nutzen kannst, um innere Konflikte zu lösen und gute Entscheidungen zu treffen.

Vom inneren Kind haben die meisten von uns inzwischen gehört. Warum das "innere Team" viel wichtiger ist, um unsere Psyche zu verstehen – und wie du es nutzen kannst, um innere Konflikte zu lösen und gute Entscheidungen zu treffen.
Wenn wir negative Gefühle oder innere Konflikte erleben, geht es dabei selten nur um die heutige Situation. Zum Beispiel darum, dass unser Partner den Geschirrspüler wieder nicht ausgeräumt hat oder um die Frage, ob es okay ist, nicht beim Umzug unserer Freundin zu helfen, weil es uns gerade nicht gut geht und wir das Wochenende lieber mit Dingen verbringen würden, die uns guttun.
Denn in solchen Momenten melden sich bei vielen von uns alte Gefühle und Muster zu Wort, etwa aus der Kindheit oder aus anderen prägenden Phasen. Mit dem Begriff des inneren Kindes sind die meisten von uns vertraut. Die Hamburger Psychotherapeutin und Autorin Dagmar Kumbier stellt in ihrem neuen Buch "Wie dein inneres Team tickt" das noch umfassendere psychologische Modell des inneren Teams vor.
Das innere Team: Ein komplexes System innerer Anteile
Demnach prägen unterschiedliche Anteile unseres Inneren unser Erleben und Verhalten. Dabei folgt die Dynamik des inneren Teams ähnlichen Prinzipien wie in externen Teams oder Familien, in denen die verschiedenen Anteile sich Gehör verschaffen wollen und sich unterschiedlich verhalten.
"Um die inneren Kinder schart sich ein komplexes System von inneren Beschützern, die verhindern wollen, dass diese Kinder erneut verletzt werden – und dass die Gefühle dieser Kinder uns in Bedrängnis oder in Gefahr bringen", erklärt Kumbier. "Wir alle haben viele und sehr unterschiedliche innere Anteile in uns, und das ist absolut normal und gesund. Je besser es uns gelingt, diese Anteile wahrzunehmen und sie in ihrer Unterschiedlichkeit zu respektieren und zu integrieren, desto mehr werden wir uns in Einklang mit uns selber fühlen."
Um das Konzept besser zu verstehen, ist es sinnvoll, sich zunächst vor Augen zu führen, welche Art von "Teammitgliedern" wir in uns haben können.
Aus diesen Mitgliedern kann unser inneres Team bestehen
- Verletzte innere Kinder: Den Begriff des inneren Kindes haben vermutlich die meisten von uns schon mal gehört. Auch im inneren Team spielen innere Kinder eine Rolle, sie sind in verstörenden Situationen in der Vergangenheit "gefangen" und erleben Situationen heute vor dem Hintergrund dieser alten Erfahrungen und Gefühle. Sie brauchen vor allem Verständnis, Trost, Schutz und liebevolle Unterstützung.
- Wächter: Diese Anteile unserer Persönlichkeit haben sich entwickelt, um die verletzten inneren Kinder davor zu schützen, erneut verletzt zu werden. Die Strategien, die sie dafür anwenden, haben ihnen damals geholfen, können uns aber heute einschränken. Es gibt ganz verschiedene Arten von Wächtern, dazu gehören solche, die besonders streng oder perfektionistisch sind, oder solche, die als "Scheinerwachsene" auftreten und starre Deutungsmuster aus der Vergangenheit verfolgen. "Gefühlswächter" beispielsweise akzeptieren unsere Gefühle erst nach strenger Prüfung.
- Erwachsene Anteile: Diese Mitglieder des inneren Teams sind in der heutigen Realität verankert. Sie sind kompetent, lernen aus Erfahrungen und können verhandeln. Sie kümmern sich um gegenwärtige Aufgaben, unsere Grenzen und unsere Gesundheit. Sie sagen beispielsweise Nein, wenn etwas zu viel wird, und achten die Selbstfürsorge. Erwachsene Anteile könnten etwa ein "liebender Vater", ein "Partner", "die Kompetente" oder "die Lebenserfahrene" sein.
- Freie Kinder: Diese Persönlichkeitsanteile sind lebendig, unbefangen, kreativ und voller Lebensfreude. Sie genießen – ganz kindlich – das reine Tun, dafür werden sie allerdings manchmal von den Wächtern "weggesperrt".
- Das Selbst: Diese Instanz leitet das innere Team. Das Selbst behält stets den Überblick über die innere Landschaft, kümmert sich um einzelne Teammitglieder und lenkt die innere Dynamik auf eine konstruktive Weise. Es ist achtsam und hat dabei sowohl das eigene Wohl als auch nach Möglichkeit das der Mitmenschen im Blick. Jede Person hat sein solches Selbst.
- Zusätzlich zu diesen grundlegenden Mitgliedern kann es auch weitere Anteile haben, die uns in bestimmten Situationen unterstützen. Das könnten beispielsweise eine "Mrs. Good Enough" für mehr Gelassenheit sein, eine "weise Frau" für die innere Führung oder "Spätmelder", die uns erst später bewusst werden.
Aus welchen Anteilen sich unser eigenes inneres Team zusammensetzt, ist sehr individuell und dynamisch. "Die Bedürfnisse und Gefühle eines Teils unterscheiden sich je nach Situation", erläutert Dagmar Kumbier dazu. "Der gleiche innere Anteil kann in einer Situation Angst haben, sich in einer anderen Situation sicher fühlen und in einer dritten wütend werden." Entsprechend werde er in jeder dieser Situationen unterschiedlich auftreten und sich unterschiedlich verhalten.
"Innere Anteile sind also nicht identisch mit den Gefühlen, die sie haben", erläutert die Therapeutin weiter. "Wenn es uns gelingt, guten Kontakt zu einem Teil zu bekommen, der Angst hat oder wütend wird, dann können wir verstehen, was ihn bewegt, und können ihm helfen, sich zu beruhigen."
So können wir mithilfe des inneren Teams bessere Entscheidungen treffen
Erleben wir einen internen Konflikt, können wir das Konzept des inneren Teams nutzen, um ihn zu lösen. Dazu malen wir laut Dagmar Kumbier am besten alle beteiligten Anteile auf, die sich zu einem bestimmten Thema zu Wort melden. Als Beispiel nennt die Autorin in ihrem Buch den Fall einer erwachsenen Tochter, die mit der Entscheidung hadert, ob sie die Pflege ihrer Mutter übernehmen soll. Zu dem Thema melden sich verschiedene Mitglieder ihres inneren Teams zu Wort:
- Das "mitfühlende Herz" kann verstehen, dass die Mutter nicht in ein Altenheim möchte.
- Die "innere "Tochter" ergänzt, dass sie ja schließlich ihre Mutter sei.
- Die "familiäre Grenzwächterin" gibt zu bedenken, was es bedeuten würde, wenn die Mutter komplett in das Familienleben der Tochter integriert wäre, auch was die Erziehung von deren Kindern angeht.
- Die "vernachlässigte Karrierefrau" äußert die Befürchtung, dass die Tochter durch den Einzug und die Pflege der Mutter ihre Chance verpassen könnte, wieder voll in ihren Beruf einzusteigen.
- Das "Gewissen" findet das egoistisch und sagt, es sei Aufgabe der Kinder, für die alternden Eltern da zu sein.
- Die "Dankbare" stimmt dem zu.
- Auf der anderen Seite hat das "gebrannte Kind" Sorge, dass das Zusammenleben mit der Mutter Konflikte mit sich bringen könnte und auch die Tochter ihr Verhalten durch die Anwesenheit der Mutter zum Negativen verändern könnte.
- Später meldet sich noch ein "alter Groll" zu Wort, der – anders als die dankbare Tochter – nicht nur positiv auf die Kindheit zurückblickt.
Nachdem die Tochter alle beteiligten Anteile aufgemalt hat, ordnet sie das Bild inhaltlich noch einmal neu. Also wer hängt mit wem zusammen, welches Mitglied des inneren Teams hat Wechselwirkungen mit welchem anderen Mitglied? Wer hält sich eher im Hintergrund, wer meldet sich laut zu Wort? Dabei landen die Anteile "Gewissen", "mitfühlendes Herz" und "dankbare Tochter" auf der linken, "alter Groll", "gebranntes Kind", "familiäre Grenzwächterin" und "vernachlässigte Karrierefrau" auf der rechten Seite.
Alle Anteile sind wichtig und wollen gehört werden
Diese zweite Ordnung macht deutlich, warum die Entscheidung, ob die Tochter ihre Mutter bei sich aufnehmen und pflegen soll, so schwierig ist. Denn jeder Anteil ist wichtig, jede Stimme sollte gehört werden – sowohl die linke Seite, die an das Gewissen und Pflichtbewusstsein der Tochter appelliert und die Bedürfnisse der Mutter im Blick hat, als auch die andere Seite, die mehr auf die Bedürfnisse der Tochter blickt und auch ihre alten Verletzungen beachtet.
Eine gute Entscheidung berücksichtigt beide Seiten mit ihren unterschiedlichen Anteilen gleichermaßen. Wenn die Tochter sich entscheiden würde, die Mutter bei sich einziehen zu lassen, wäre es wichtig, klare Spielregeln und Grenzen zu kommunizieren. Sollte sie das allerdings nicht wollen, wäre es wichtig, für gute Bedingungen in einer Betreuungssituation zu sorgen, sodass alle Anteile des inneren Teams der Tochter sich mit der Lösung wohlfühlen.
Das trifft natürlich auch auf andere Situationen zu. Immer dann, wenn es schwierig für uns ist, eine Entscheidung zu treffen, kann uns das Modell des inneren Teams helfen. Wenn wir achtsam in uns hineinhören, welche "Teammitglieder" sich mit welchen Bedenken und Gedanken zu Wort melden, können wir ein tieferes Verständnis für uns selbst und unsere Gefühle erlangen – und so bessere Entscheidungen für uns treffen.