Führen von unten: Ich, die heimliche Chefin

Auch wenn wir keine Führungsposition haben, können wir im Job viel mehr beeinflussen und erreichen, als wir denken. "Führen von unten" heißt das – und so geht es.

Apr 21, 2025 - 11:27
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Führen von unten: Ich, die heimliche Chefin

Auch wenn wir keine Führungsposition haben, können wir im Job viel mehr beeinflussen und erreichen, als wir denken. "Führen von unten" heißt das – und so geht es.

Julia ist eine erfahrene Erzieherin. Nach ihrem Wechsel in eine andere Kindertagesstätte fällt ihr auf, dass der Morgenkreis oft chaotisch verläuft. Sie weiß, dass die Kinder in kleinen, nacheinander startenden Gruppen aufmerksamer und ruhiger wären. Dieses Vorgehen würde sie gern einführen, aber bei der Kita-Leiterin nicht forsch rüberkommen. Also macht Julia ihren Vorschlag beiläufig, als die Kita-Leiterin beim Mittagessen über das Chaos der Morgenkreise spricht. Julia erzählt ihr von dem anderen Konzept und wie gut es funktioniert. "Wollen wir das mal ausprobieren?" Die Chefin stimmt zu. Der neue Ablauf erweist sich als voller Erfolg und wird Standard. Und Julia hat erreicht, was sie wollte.

Manage Your Boss 

Führen heißt, Einfluss nehmen, damit Ziele umgesetzt werden. Was Julia macht, nennt man "Führung von unten", oder auch: Bottom-Up-Führung, Managing Your Boss, Unterwachung, Unter-Führung. Julia steht beispielhaft für Mitarbeitende, die auf ihre Vorgesetzten einwirken, um sie in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Als "heimliche Chefin" kann ich oft mehr bewirken, als mir bewusst ist. Zum Beispiel kann ich frühzeitig auf Probleme aufmerksam machen. Ich kann meine Führungskraft vor einer sachlich falschen Entscheidung bewahren, indem ich deren Konsequenzen aufzeige. Ich kann Doppelarbeit im Team verhindern, wenn ich mich offen mit Kolleg:innen über die Aufgabenverteilung abstimme. Kurz: Ich trage dazu bei, dass der Laden läuft.

Führungskräfte können unmöglich alles im Auge behalten, was in ihrem Einflussbereich passiert. Damit sie trotzdem zu guten Entscheidungen kommen, brauchen sie vernünftigen Input von ihren Mitarbeitenden. Schließlich stecken die meist tiefer im Detail und sind oft näher am Problem, das gelöst werden muss, als ihre Vorgesetzten.

So geht's! 

Möchte ich darum als "heimliche Chefin" agieren, mache ich das geschickterweise mit Fingerspitzengefühl und gutem Timing. Und mit Menschenkenntnis. Ist meine Chefin eher mit Zahlen-Daten-Fakten-Argumenten zu überzeugen – oder auf der emotionalen Ebene? Hört sie eher hin, wenn eine Idee von mehreren Kolleg:innen kommt? Mache ich ihr einen Vorschlag schmackhaft, wenn ich mit einem persönlichen Vorteil für die Chefin argumentiere? Oder kriege ich sie mit meinem positiven Feedback dazu, eine gut laufende Sache noch mehr auszubauen?

Führung von unten ist keine Zauberei. Beispielsweise kann ich als Assistentin Termine meiner Chefin umbuchen, damit sie im Haus ist, wenn wichtiger Kundenbesuch kommt. Als Projektleiterin kann ich Informationen so filtern, dass die Entscheider:innen nicht vor einem Wust an Optionen stehen, sondern eine Vorauswahl haben. Als Tischlerin kann ich meinem Chef, der nur handgezeichnete Skizzen kennt, eine digitale Version erstellen und ihm deren Vorteile erklären.

Was sagen Expert:innen?

Und wie stehen Vorgesetzte dazu, wenn sie in bestimmten Situationen gezielt beeinflusst werden? Das hängt natürlich von der Persönlichkeit und den Rahmenbedingungen ab. Tendenziell ist es aber so, dass der Job einer Führungskraft in mittlerer Position heute sehr komplex geworden ist. Führungskräfte müssen auf schnelle Veränderungen reagieren und unter Zeitdruck entscheiden. Sie müssen mit Personalmangel und Kostendruck klarkommen. Bei allem haben sie kaum mal Zeit, in Ruhe nachzudenken. Deshalb brauchen Führungskräfte heute Mitarbeitende, die Aufgaben eigenständig übernehmen und sich selbst führen. Sie sind auf Menschen angewiesen, die Probleme frühzeitig erkennen und Lösungen vorschlagen. Kurz: Sie brauchen Menschen, die selber denken und das Beste daraus machen – für das Team und die Firma.

Ist es also okay, wenn ich als Mitarbeiterin im richtigen Moment den Lenker halte? Es ist nicht nur okay, sondern sogar nötig, sagen Expert:innen. "Die Gegenwart überstürzt sich, die Frequenz der Veränderungen wird immer unkalkulierbarer", erklärt Anja Förster, Gründerin der Initiative "Rebels at Work", Speakerin und Autorin. "Unternehmen brauchen Leute, die gerade dann, wenn es anders kommt als geplant, erfolgreich damit umgehen. Das gelingt nicht, wenn ein Team wie eine Schafherde agiert. Stattdessen braucht man Zutrauen, dass man es mit mündigen, intelligenten Erwachsenen zu tun hat, die sich auch so verhalten."

Susanne Ringen, Leiterin einer Akademie zur Ausbildung von Führungskräften und Beraterin für Organisationsdesign, sagt: "Unternehmen sind innovativer, wenn sich Mitarbeitende mit ihren Lösungsideen einbringen können. Auch die Kreativität nimmt zu. Beides führt dazu, dass Teams dynamischer auf Veränderungen reagieren können." Allerdings sollte dafür eine Grundvoraussetzung erfüllt sein: "Die Führungskraft muss die Ziele klar kommunizieren. Jedem muss klar sein, wohin das Unternehmen will und welchen Beitrag das Team dafür leisten soll."

Das sind die Risiken und Nachteile  

Klingt schön und gut, aber warum passiert Führung von unten trotzdem tendenziell hintenrum? Vielleicht, weil dabei auch was schiefgehen kann. Zum Beispiel, wenn ich zu wenig über die Unternehmensziele weiß. Oder wenn ich mich als langjährige Mitarbeiterin für eine Über-alles-Bescheidwisserin halte. Wenn ich Lenken mit Linken verwechsele, also meine Führungskraft in schlechter Absicht manipuliere. Oder wenn ich glaube, dass ich strategisch mithalten kann, obwohl mir das Wissen aus den Führungskreisen fehlt.

Eigentlich ist die Zeit reif dafür, dass Führung von unten nicht insgeheim geschieht, sondern offen. Schließlich wissen doch alle Beteiligten, dass es immer eine Wechselwirkung zwischen der Führungskraft und ihren Mitarbeitenden gibt. Anja Förster sagt: "Als Führungskraft mache ich mir besser bewusst, dass wir uns sowieso gegenseitig führen. Ich kann dazu beitragen, dass es konstruktiv und transparent läuft. Dazu muss ich klar kommunizieren, wo unser Nordstern ist. Jedem im Team muss klar sein, wo wir hinwollen und wo die Leitplanken verlaufen."

Bleibt noch die Frage der Anerkennung. Wer kriegt das positive Feedback, wenn er oder sie eine Verbesserung angestoßen hat? Wenn ich mit Tarnkappe von unten führe, dann genieße ich meinen Erfolg auch still für mich. Wenn ich es offen mache, bekomme ich womöglich Applaus. In jedem Fall erlebe ich meine positive Einflussnahme als selbstwirksam, und das macht meine Arbeit erfüllender.

Wie führe ich von unten?

Emotional intelligent

Eine gute Beziehung zur Führungskraft ist die Basis. Soweit es möglich ist, sollte ich mich in die Perspektive und Gefühlswelt meines Gegenübers hineindenken. Ist mein:e Chef:in überhaupt offen für meine Beteiligung?

Kooperativ

Es geht nicht um Macht, sondern um das Finden der besten Lösung, damit die vereinbarten Ziele erreicht werden können. Also am besten so vorgehen, dass sich die Führungskraft unterstützt, nicht bevormundet fühlt.

Dosiert

Es ist nicht nötig, sich bei jeder Kleinigkeit derart einzubringen, lieber gezielt und in relevanten Fällen.

Strategisch

Es ist wichtig, regelmäßig zu reflektieren, ob sich die eigene Einflussnahme auch wirklich so positiv auswirkt, wie gedacht. Führung von unten funktioniert nur, wenn beide Seiten davon profitieren und sich die Leitungsebene darauf einlässt.