Am Ende des Lebens: Letzte Wünsche sind oft viel kleiner als man denkt
Wenn das Leben zu Ende geht, werden unerfüllte Wünsche schmerzlich bewusst. Der "Wünschewagen" hilft dabei, sie zu erfüllen. Fotografin Lisa Hambsch, 32, hält den großen Tag für die todkranken Menschen fest und erzählt, was sie dabei erlebt.

Wenn das Leben zu Ende geht, werden unerfüllte Wünsche schmerzlich bewusst. Der "Wünschewagen" hilft dabei, sie zu erfüllen. Fotografin Lisa Hambsch, 32, hält den großen Tag für die todkranken Menschen fest und erzählt, was sie dabei erlebt.
Schon länger war Lisa Hambsch auf der Suche nach einem Ehrenamt, bei dem sie ihr Talent einbringen könnte: die Fotografie. Die zündende Idee kam ihr vor drei Jahren auf der Autobahn. "Es klingt superkitschig", erzählt die 32-Jährige im Video-Interview, "aber da stehe ich mit meinem Mann im Stau, wir sprechen über meine Ehrenamtssuche und in dem Moment hält ein Wünschewagen neben uns." Ihr Mann kennt das spendenfinanzierte Projekt des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) bereits und meint: "Das könnte des Rätsels Lösung sein."
Mit den 23 Wünschewagen, die im gesamten Bundesgebiet unterwegs sind, bringen Ehrenamtliche schwerstkranke Menschen an ihren Sehnsuchtsort, um ihnen einen letzten Wunsch zu erfüllen – in gemütlich umgebauten, aber notfallmedizinisch ausgestatteten Krankenwagen, die von Fachpersonal begleitet werden. Wäre es nicht schön für diese Menschen und ihre Angehörigen, als Erinnerung hochwertige Fotos von diesem besonderen Tag zu haben?, fragt sich Lisa Hambsch. Noch am Abend schreibt sie eine Mail an den ASB. Seitdem begleitet die Berlinerin Menschen bei ihrem letzten Ausflug, sofern sie das möchten.
Wie wertvoll die Fotos eines geliebten Menschen nach dessen Tod plötzlich werden, musste sie selbst schmerzlich erfahren. Bei ihrer Hochzeit 2017 waren Aufnahmen eines sehr engen Familienmitglieds entstanden, das kurz darauf unerwartet verstarb. Schon damals erwachte in Lisa Hambsch der Wunsch, anderen Menschen solche kostbaren Bilder schenken zu können.
"Viele strahlen den ganzen Tag und das ist wunderschön zu sehen"
Als Hochzeits- und Familienfotografin setzt sie normalerweise Momente des Glücks und der Zuversicht in Szene – beim Wünschewagen begleitet sie Menschen, die am Ende ihres Lebens angekommen sind. "Viele meiner Bekannten fragen mich: 'Lisa, wie hältst du das aus? Das muss doch unfassbar traurig sein!‘" Das Gegenteil sei der Fall: "Viele strahlen den ganzen Tag und das ist wunderschön zu sehen.“ Oft sei die Wunscherfüllung der letzte glückliche Tag im Leben der Menschen – schon deshalb, weil sie seit langer Zeit das erste Mal rauskommen. "Einige sind sehr geschwächt und mobilisieren nochmal unfassbar viel Kraft, um ihren Tag zu meistern."
Etwa Gerd, 67, der mit Lungenkrebs im Rollstuhl saß. Gemeinsam fuhren sie in den Harz zur Okertalsperre. Zuletzt war er als Kind dort gewesen und der Vater hatte ihm erzählt, wie berauschend es ist, wenn das Wasser abgelassen wird. Gerd wollte das unbedingt einmal erleben, schob es aber immer wieder auf, bis er zu krank war, um hinzufahren. Hambsch erinnert sich: “Als wir an der Mauer standen, brach er in Tränen aus, weil er sich so gefreut hat, dass er da sein kann. Und als der Staumeister extra für ihn das Wasser aufdrehte, ist Gerd aus seinem Rollstuhl aufgestanden und mit letzter Kraft an die Mauer gelaufen, um hinunterzuschauen. Das hat mich unheimlich beeindruckt."
© Lisa Hambsch
Noch einmal auf den Friedhof, um sich zu verabschieden
Die Malediven-Reise, der Helikopterflug, die Begegnung mit einem Idol – man könnte meinen, ein letzter Wunsch müsse etwas Großes sein. Doch die allermeisten Wünsche sind kleiner: "Letztes Jahr sind wir häufiger auf Friedhöfe gefahren, weil die Menschen sich verabschieden wollten", erzählt Hambsch, "von der verstorbenen Ehefrau, der Tochter, den Eltern". Andere wollten an die Ostsee, beim Abiball des Kindes dabei sein oder ein letztes Mal ins Stadion.
© Lisa Hambsch
Dankbar sein mit dem, was man hat
Und weil nicht nur die Angehörigen, sondern auch die Kranken oft nochmal Kraft schöpfen können aus ihren Aufnahmen, schickt sie ihnen die entwickelten Fotos schnellstmöglich zu. Als Antwort habe sie schon Bilder zurückbekommen, auf denen der Kranke in seinem Pflegebett liegt und die Wand mit ihren Fotos tapeziert ist – "so können sie sich zurückerinnern und haben auf ihrem schweren Weg noch ein bisschen Freude."
© Linda Gawlich