Fehldiagnose mit Folgen: Wie eine Frau um die richtige Diagnose ringen musste

Viele Erkrankungen äußern sich bei Frauen anders als bei Männern – das kann gefährlich werden. Wenn Symptome nicht erkannt oder falsch gedeutet werden, bleiben Diagnosen aus. Wie kommt es, dass Frauen in der Medizin immer noch übersehen werden? Die Geschichte von Amira M. zeigt, welche Risiken geschlechtsspezifische Unterschiede in der Diagnostik bergen und warum es lebenswichtig ist, sie ernst zu nehmen.

Feb 21, 2025 - 12:39
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Fehldiagnose mit Folgen: Wie eine Frau um die richtige Diagnose ringen musste

Viele Erkrankungen äußern sich bei Frauen anders als bei Männern – das kann gefährlich werden. Wenn Symptome nicht erkannt oder falsch gedeutet werden, bleiben Diagnosen aus. Wie kommt es, dass Frauen in der Medizin immer noch übersehen werden? Die Geschichte von Amira M. zeigt, welche Risiken geschlechtsspezifische Unterschiede in der Diagnostik bergen und warum es lebenswichtig ist, sie ernst zu nehmen.

Es sind diese brennenden Schmerzen im Brustkorb, bis in den Hals strahlen sie aus und quälen Amira M. wochenlang. Mehrfach sucht sie ihren Hausarzt auf. Doch eine eindeutige Ursache kann nicht gefunden werden. Zunächst überweist er sie an einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der eine Behandlung mit Kortison versucht – ohne Erfolg. Wieder beim Hausarzt vermutet dieser Magensäure als Ursache und verschreibt Medikamente gegen Sodbrennen. Doch auch das bringt keine Linderung.

Als die Schmerzen nicht nachlassen, beschließt die 60-Jährige, auf eigene Faust einen Kardiologen aufzusuchen. Was, wenn es etwas Schlimmeres ist? Diese Möglichkeit zieht der Allgemeinmediziner offenbar nicht in Erwägung. Das EKG beim Spezialisten: unauffällig. Erleichterung oder Ernüchterung? Ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt, bleibt. Und der Schmerz auch.

Herzchirurgin und Gendermedizinerin Sandra Eifert vom Herzzentrum Leipzig hat sich für diesen Text Amira M.s Fall angeschaut. Das Problem? Unter Umständen erkenne man nichts, wenn man nur ein Ruhe-EKG mache und kein Belastungs-EKG. "Das Herz der Frau sollte unter Belastung untersucht werden, also auf dem Ergometer oder unter medikamentöser Belastung", so Eifert.

"Da hat sie aber Glück gehabt"

Als die Schmerzen unerträglich werden, lässt sich Amira in ein Krankenhaus überweisen. Dort zeigt eine Blutuntersuchung: Der Troponin-Wert ist stark erhöht. "Wenn das Troponin positiv ist, kann das ein Hinweis auf einen Herzinfarkt sein", erklärt Eifert. Die Diagnose ist ein Schock für die Patientin und ihre Angehörigen: Myokardinfarkt, tatsächlich, ein Hauptgefäß ihres Herzens ist fast vollständig verstopft. Nach vielen Wochen der Schmerzen und quälendem Zweifel geht dann alles ganz schnell. In einer OP werden ihr zwei Stents eingesetzt, um die Durchblutung wiederherzustellen.

"Da hat sie aber Glück gehabt, dass sie das überstanden hat", bemerkt Eifert. Die Herzchirurgin berichtet, dass sie manchmal Fälle dieser Art in ihrer Frauensprechstunde am Herzzentrum in Leipzig habe. Auch wenn es andere Ursachen gebe: "Wenn sich die Brustschmerzen oder auch andere Symptome verstärken oder häufiger auftreten, muss man ans Herz denken", rät die Medizinerin. 

Amiras Tochter erinnert sich noch genau an den Moment, als der Hausarzt von der Diagnose ihrer Mutter erfuhr: "Er hatte große Angst, dass wir ihn verklagen würden. Ich habe mich sogar ziemlich mit ihm gestritten, weil ich finde, dass sowohl er als auch der Kardiologe in diesem Fall sehr fahrlässig gehandelt haben", sagt sie. 

Sabrina Diehl, Fachanwältin für Medizinrecht, kann das bestätigen: "Wenn der Allgemeinmediziner auf wichtige Symptome hin keine Überweisung an den richtigen Fachmediziner vornimmt, dann liegt ein Befunderhebungsfehler vor." Hausärzte hätten laut der Expertin die Hauptaufgabe, zu schauen, welche Symptome der oder die Patient:in aufweist und dann zu entscheiden, ob weitere Diagnostik betrieben werden müsse und – wenn dies der Fall wäre – zu welchem Facharzt der oder die Patient:in dafür gehen müsse.

"Die Frage hier wäre: Waren die Symptome so eindeutig, dass eine Abklärung auf kardiologischem Gebiet erforderlich gewesen wäre und mit welcher Dringlichkeit?", erklärt die Fachanwältin.

"Mediziner schulden keinen Erfolg"

Also ist die Sorge des Hausarztes begründet gewesen? Die Juristin meint, er habe zumindest "Glück gehabt", dass die Patientin ihre Erkrankung überlebt hat. Erst wenn die Symptome zweifelsfrei eine Überweisung erfordern und er auf Sodbrennen bestanden hätte, wäre es eine falsche Diagnose. 


"Der Behandlungsfehler liegt dann vor – unabhängig davon, ob er zum Schaden führt oder nicht – wenn vom Facharztstandard abgewichen wird. Das heißt, wenn die anerkannten Regeln der Heilkunst zum Zeitpunkt der Behandlung missachtet werden", erläutert sie. "Im Gegensatz zum Baugewerbe schulden Mediziner keinen Erfolg, also Heilung, sondern eine dem Facharztstandard entsprechende Behandlung." In solch einem Fall würden die gesetzlichen Vorgaben gelten. Ob ein Behandlungsfehler vorliege, werde immer mithilfe von Sachverständigen und für jeden Einzelfall entschieden. Ein Großteil der Sachverständigen sei übrigens männlich, fügt Diehl hinzu.

Einen Behandlungsfehler als betroffene:r Patient:in zu beweisen, sei zwar nicht unmöglich, die Hürden jedoch enorm. "Allein, weil das Beweismittel, um zu prüfen, ob die Behandlung fehlerhaft war, die Dokumentation der Gegenseite, des Arztes, ist", sagt Diehl. Der Gesetzgeber gehe zunächst davon aus, dass das, was dokumentiert wird, zunächst auch so gewesen ist. "Es sei denn, wir können es entkräften." Wenn Dinge andersherum nicht dokumentiert seien, würde aber zum Beispiel unterstellt werden, dass der Arzt auch nichts unternommen hat. 

Das Schwierige sei, so Diehl, dass man den Verdacht eines Behandlungsfehlers meist erst bei Kenntnis des Ergebnisses erhebe. Das Ergebnis belege jedoch nicht den Fehler.

Für die Familie von Amira M. zählt nach allem nur eines: "Das Wichtigste ist, dass es meiner Mama jetzt viel besser geht“, sagt ihre Tochter. Laut Herzchirurgin Eifert könne man zwar nie zu hundert Prozent ausschließen, dass ein Herzinfarkt unentdeckt bleibe. Aber man versuche, über Ausbildung und das Schaffen von Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit auch dafür zu sorgen, dass Frauen wie Amira M. selbst in die Kraft kommen zu sagen: "Ich kümmere mich jetzt um mich, denn hier stimmt etwas nicht."