Laut Psychologin: Warum uns gegensätzliche Freundschaften so guttun können

Müssen Freundschaften immer auf einer Wellenlänge sein oder ist es sogar besser, wenn unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen? Unsere Autorin wägt ab.

Feb 28, 2025 - 15:02
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Laut Psychologin: Warum uns gegensätzliche Freundschaften so guttun können

Müssen Freundschaften immer auf einer Wellenlänge sein oder ist es sogar besser, wenn unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen? Unsere Autorin wägt ab.

Ich habe Freundinnen, mit denen ich viele Gemeinsamkeiten teile. Wir machen den gleichen Sport, lieben Musicals, fahren zusammen Motorrad. Wir sind eher zurückhaltend, führen gerne tiefgründige Gespräche. 

Und dann sind da die Freundinnen, mit denen ich wenig gemeinsam habe. Wir haben unterschiedliche Interessen. Sind verschiedene Persönlichkeitstypen: Ich bin introvertiert, sie extrovertiert. Sie gehen abends gerne etwas trinken, ich bevorzuge das Sofa. 

Wieso wir trotzdem befreundet sind? Weil wir uns gut verstehen. Uns wertschätzen und ergänzen. Weil Freundschaften doch nicht immer genau auf einer Wellenlänge sein müssen – oder? Das müssen sie nicht, bestätigt die Psychologin und Entwicklungsforscherin Dr. Jeanine Grütter. Gegensätzliche Freundschaften können uns sogar richtig guttun.

3 Vorteile von gegensätzlichen Freundschaften

1. Sie erweitern den Horizont

Als introvertierter Gewohnheitsmensch bevorzuge ich bekannte Orte und Menschen. Bleibe in meiner Komfortzone. Bin ich aber mit einer extrovertierten Freundin verabredet, die gerne Neues ausprobiert, schafft sie es, mich aus dieser herauszulocken – und in 99 Prozent der Fälle lohnt es sich und wir haben eine gute Zeit.

"Gegensätzliche Freundschaften bieten viele Gelegenheiten, um voneinander zu lernen und seinen Horizont zu erweitern", bestärkt mich Dr. Grütter. "Davon profitieren auch das Verständnis für andere Lebenssituationen, Geschichten und Hintergründe und es kann Empathie entstehen, für Menschen, die anders leben als wir selber." Die Forschung zeige sogar, dass uns solche Freundschaften als Gesellschaft weiterbringen, indem wir offener und toleranter für Vielfalt werden.

2. Sie fördern die eigene Entwicklung

Freundinnen unterstützen sich, das ist klar. Doch auch dabei spricht tatsächlich einiges für gegensätzliche Freundschaften: "Sie fördern die persönliche Entwicklung, da man nicht gleich in allem bestätigt wird, sondern sich möglicherweise mit anderen und neuen Ansichten und Meinungen auseinandersetzt", erklärt die Psychologin.

Es ist wie im obigen Beispiel: Während mich gleichgesinnte Freundinnen auch bestärken, schaffen es die gegensätzlichen noch eher, mich aus meiner Komfortzone zu locken und mir neue Blickwinkel zu zeigen. Dabei habe ich das Gefühl, dass es mir von Mal zu Mal leichter fällt – und ich persönlich wachsen kann.

3. Sie sind geprägt von Verständnis

In letzter Zeit ist mir ein dritter Vorteil aufgefallen: Sieht man sich eine längere Zeit nicht, besteht in meinen gegensätzlichen Freundschaften mehr Verständnis. Wir wissen, dass die andere Person gerade eigenen Interessen nachgeht oder auch einfach mal Zeit für sich braucht. Bei meinen Freundinnen mit vielen Gemeinsamkeiten herrscht teilweise eher Unverständnis, warum wir Dinge nicht zusammen machen oder ich keine Lust auf eine Aktivität habe, die uns sonst immer Spaß macht.

Wie lerne ich gegensätzliche Freundinnen kennen?

"Für die Wahl von Freundschaften gilt häufig das Prinzip: Gleiches und Gleiches gesinnt sich gerne. Dahinter versteckt sich eine Tendenz, dass wir uns von Ähnlichkeit angezogen fühlen", sagt Grütter. So lernen wir schnell Freundinnen beim wöchentlichen Töpfern oder im Yoga-Schwangerschaftskurs kennen. Wir sehen sofort Gemeinsamkeiten und kommen leicht ins Gespräch.

Und wo finden wir gegensätzliche Freundschaften? "Wenn wir unser soziales Netzwerk öffnen möchten, müssen wir diese Tendenz aktiv umgehen", rät die Expertin. Dafür sollen wir mit offenem Blick neue Orte aufsuchen oder neue Hobbys ausprobieren. "Es kann sich auch lohnen, Personen eine zweite Chance zu geben, die einem nicht sofort sympathisch sind. Denn hinter ersten Eindrücken versteckt sich oft viel mehr als wir zuerst annehmen."

Fazit: Gegensätzliche Freundschaften lohnen sich – trotz Herausforderungen

So sinnvoll gegensätzliche Freundschaften sein mögen, so herausfordernd können sie auch sein. Die Forscherin weiß: "Es braucht viel Offenheit und wir müssen bereit sein, unsere eigene Haltung zu hinterfragen und die Perspektiven der anderen Personen einzunehmen." Wir würden möglicherweise nicht mehr so leicht Bestätigung erfahren, für unsere Persönlichkeit, Einstellungen und Vorlieben. "Wenn wir aber dazu lernen und uns entwickeln möchten, dann lohnt es sich, an uns selbst und dem 'offenen Blick'  zu arbeiten, wodurch die Entstehung und Qualität von gegensätzlichen Freundschaften begünstigt wird."

Diese Denkweise kann sich letztendlich sogar bei bestehenden Freundschaften auszahlen. Auch hier kann es nämlich vorkommen, dass sich die Interessen im Laufe des Lebens in verschiedene Richtungen entwickeln. Vor allem, wenn sich Freundinnen in unterschiedlichen Lebensphasen befinden: die eine ist schwanger, die andere unglücklich Single. Die eine geht in Rente, die andere hat noch ein paar Arbeitsjahre vor sich. Plötzlich rutscht die Wellenlänge auseinander. Unser Glück: Die drei Vorteile gegensätzlicher Freundschaften zeigen, dass es sich definitiv lohnen kann, an der Verbindung festzuhalten.