Klischee vs. Wahrheit: Sind Frauen wirklich gesprächiger als Männer?
Eine neue Studie klärt das altbekannte Klischee auf, Frauen würden viel mehr reden als Männer. Die zentrale Erkenntnis: Es kommt nicht auf das Geschlecht, sondern das Alter an.

Eine neue Studie klärt das altbekannte Klischee auf, Frauen würden viel mehr reden als Männer. Die zentrale Erkenntnis: Es kommt nicht auf das Geschlecht, sondern das Alter an.
Frauen sind Tratschtanten, Frauen treffen sich zum Kaffeeklatsch, Frauen sind ständig am Lästern. Und Männer? Die brauchen nur ein Minimum an Worten, um sich zu verständigen. Die halten sich lieber aus allem raus. Ja, genau so lautet seit vielen Jahrzehnten DAS Geschlechter-Klischee, wenn es um unsere Gesprächigkeit geht.
Zu Recht oder nur Palaver? Das versuchen Forschende seit geraumer Zeit herauszufinden. Bereits 2007 wurde eine Studie der Universität von Arizona im Fachjournal "Science" veröffentlicht, in der das Vorurteil an Studierenden untersucht wurde. Das Ergebnis: Es gibt keine statistisch relevanten Unterschiede zwischen Studenten und Studentinnen, was ihre Gesprächigkeit angeht.
Vielmehr komme es auf die individuelle Person an – bei den männlichen Teilnehmenden schwankte die täglich benutzte Anzahl an Wörtern beispielsweise zwischen 500 und 47.000. "Männer und Frauen sind etwa gleich gesprächig und geben pro Tag durchschnittlich 16.000 Worte von sich", resümierten die Forschenden.
Vorurteil aufgehoben? Neue Studie sieht das anders
Nach der Analyse dachten wir, das Klischee wäre endlich vom Tisch und Frauen den Stempel "Lästerschwestern" los. Doch in einer aktuellen Folgestudie geht es erneut um die entscheidende Frage: "Sind Frauen wirklich (nicht) gesprächiger als Männer?" Und jetzt gibt es vielleicht doch einige Unterschiede.
In der deutlich größeren und breiteren Stichprobe (500 Studierende in der ersten Studie versus 2.197 Teilnehmende zwischen zehn und 94 Jahre in der zweiten) ergab sich nun, dass Frauen zwischen 25 und 65 Jahren doch gesprächiger sind als Männer. Konkret geben sie etwa 3.000 Wörter mehr am Tag von sich. In den anderen Alterspannen (10-17 Jährige, 18-24-Jährige und Ü65-Jährige) stellte das Forschungsteam keine solche signifikanten Differenzen fest.
Der Grund soll aber nicht "die Frau" sein
21.845 tägliche Wörter von Frauen im Vergleich zu 18.570 Wörtern bei Männern: Woher kommt dieser nachgewiesene Unterschied? Mit Gewissheit konnte dies in der Studie nicht beantwortet werden, es gibt aber eine Theorie: "Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Kindererziehung und Familienfürsorge sind eine mögliche Erklärung", sagt der Forscher Matthias Mehl. Denn auch heute noch gelten in vielen Familien Frauen als primäre Bezugsperson.
"Wenn biologische Faktoren wie Hormone die Hauptursache wären, hätte es auch bei den jungen Erwachsenen einen beträchtlichen geschlechtsspezifischen Unterschied geben müssen", so der Experte, und, "wenn gesellschaftliche Generationswechsel die treibende Kraft wären, hätte es bei den älteren Teilnehmern einen allmählich zunehmenden geschlechtsspezifischen Unterschied geben müssen. Beides war jedoch nicht der Fall."
Extrem breite Spanne – und eine Tendenz
Zwar wies die zweite Forschung einen geschlechtsspezifischen Unterschied in einer gewissen Altersspanne auf, doch letztlich wurde auch hier dieselbe Erkenntnis wie in der ersten Studie gefällt: Es kommt auf die einzelne Person an. Beide Extreme stellten in der Untersuchung Männer dar – der unkommunikativste sprach durchschnittlich 100 Wörter am Tag, der kommunikativste mehr als 120.000. "Wir Menschen unterscheiden uns individuell viel stärker voneinander als die beiden Geschlechter systematisch", fasst Mehl das Ergebnis zusammen.
Einen spannenden Effekt konnten die Forschenden übrigens noch beobachten: Wir sprechen wohl von Jahr zu Jahr immer weniger. Zwischen 2005 und 2018 sank die Anzahl der täglich verwendeten Wörter von rund 16.000 auf 13.000. "Offenbar gehen durchschnittlich 300 gesprochene Wörter pro Jahr verloren", erklärt die Co-Hauptautorin der Studie, Valeria Pfeifer. Vermutlich seien digitale Kommunikationsmittel (mit)verantwortlich – die genauen Gründe sollen jedoch in weiteren Untersuchungen erforscht werden.