Kathrin Weßling: "Frauen, die gerne Mutter geworden wären – darüber redet keiner"
Kathrin Weßling schreibt in ihrem Buch "Sonnenhang" über Kinderlosigkeit, Altern und Sinnsuche. Vor allem geht es ihr dabei aber um eins: Menschlichkeit. Ein liebevoller Blick auf die schönen und schmerzhaften Facetten des Menschseins.

Kathrin Weßling schreibt in ihrem Buch "Sonnenhang" über Kinderlosigkeit, Altern und Sinnsuche. Vor allem geht es ihr dabei aber um eins: Menschlichkeit. Ein liebevoller Blick auf die schönen und schmerzhaften Facetten des Menschseins.
BRIGITTE: Du behandelst in Sonnenhang fließend gesellschaftliche Dauerbrenner. Was war in der Ideenfindung zu deinem neuen Roman zuerst da: die Thematik Seniorenheim und Generationen oder Feminismus, Kinderlosigkeit und Sinnfindung?
Kathrin Weßling: Ich wollte auf jeden Fall über Kinderlosigkeit sprechen, das wusste ich. Und das war auch das Thema für das Buch, für das ich vor fünf Jahren den Vertrag gemacht habe. Dann ist mir aber immer mehr klar geworden, dass ich keine Lust habe, eine Geschichte über eine Frau zu erzählen, die versucht, schwanger zu werden, ich will eigentlich eine Geschichte über eine Frau erzählen, die sich darüber erhebt. Gleichzeitig habe ich dann vor drei Jahren oder so ein Ehrenamt in einem Generationentandem machen wollen, das hat aber nicht geklappt. Mich hat das Thema aber nicht losgelassen.
© rowohlt
Bei starkem Kinderwunsch gelten Frauen als unfeministisch, ohne Kinderwunsch als komische Cat Lady. Bei ungewollter Kinderlosigkeit werden sie aber plötzlich unsichtbar, man spricht selten darüber.
Gar nicht eigentlich. Also es wird halt über Frauen gesprochen, die versuchen, Kinder zu bekommen. Aber Frauen, die gerne Mutter geworden wären, aber keinen Partner gefunden haben – das ist ein krasses Thema, über das keiner redet, weil es so schambehaftet ist.
Ich dachte selber lange, ich will gar keine Kinder und ich glaube, dass es total wichtig ist, sich mit diesem Thema sehr gut auseinanderzusetzen.
Wie können wir das ändern? Müssten wir mehr über Kinderlosigkeit sprechen?
Also ich bin auch ungewollt kinderlos. Ich hätte schon gern noch Kinder bekommen, aber es hat einfach nicht mit irgendjemandem gepasst. So, und jetzt bin ich fast 40 und es ist eigentlich schon zu spät oder sehr knapp. Ich merke schon jedes Mal, wenn ich das so ehrlich sage, dass die Luft im Raum ganz dünn wird. Ganz kurz, weil das Leute überhaupt nicht gewohnt sind, dass das jemand sagt.
Ich dachte selber lange, ich will gar keine Kinder und ich glaube, dass es total wichtig ist, sich mit diesem Thema sehr gut auseinanderzusetzen und zu begreifen, ob das die Wahrheit ist, dass man wirklich keine Kinder will oder ob man einfach nur nicht erträgt, dass man eigentlich welche wollte und es aber nicht geklappt hat.
Das Thema wird ja auch gerne verdrängt, weil man denkt, man hätte noch Zeit.
Schlimm ist dann, mit 50 da zu sitzen und zu denken "Fuck, hätte ich mal damals alles versucht". Alter ist so relativ geworden für uns alle. Aberes ist nun mal so, dass die Wahrscheinlichkeit, ein gesundes Kind auf die Welt zu bringen, mit 35 langsam weniger wird. Viele Frauen denken, das geht halt für immer. Aber das geht halt nicht für immer.
Ich habe mich sehr ertappt gefühlt bei der Passage zu den Lebensweisheiten, nach denen man Menschen irgendwann fragt, nur weil sie ein gewisses Alter erreicht haben. Was hast du denn von Katharina gelernt?
Katharina hat eher von mir gelernt, ich bin ja sie und jeder ihrer Gedanken. Was für mich wichtig war, war, dass beim Schreiben rauskommt, dass ich Menschen sehr mag. Das Buch soll ein Gegenentwurf zur Misanthropie sein.
Das liest man raus.
Das macht mich glücklich, die erste Reaktion einer meiner Freundinnen war, man merke so sehr, wie liebevoll ich auf Menschen und die Welt schaue. Das war das schönste Kompliment für mich, weil ich früher ganz anders war. Ich war das Gegenteil und das merkt man auch an meinen Büchern und meinem Schreibstil, sie spiegeln meine eigene Entwicklung wieder.
Ich glaube nicht, dass man einen Partner oder Kinder braucht, um einen Sinn im Leben zu haben, aber ich glaube, irgendeinen Sinn brauchen wir alle.
Deine Bücher sind nicht anstrengend zu lesen. Du findest Worte für Emotionen, die schwer zu verbalisieren sind. Trotzdem hält sich tapfer die These, dass Bücher anspruchsvoll sein müssen. Ist das nicht eine total exklusive Sichtweise? Wirst du als Autorin damit konfrontiert?
Ich werde seit meinem ersten Buch vom Feuilleton ignoriert und wenn sie mal aufmerksam auf mich werden, dann zerreißen sie mich. Mittlerweile ist mir das egal. Mir ist wichtig, dass die Leute das Buch fühlen und dass sie etwas mitnehmen. Ich mag Bücher, die wie ein Rausch sind und wo ich richtig viel gefühlt habe, ein bisschen wie eine Katharsis. Und genauso schreibe ich auch die Bücher, so wie ich sie selber gerne lese.
Merkst du in der Literaturwelt auch Diskriminierung aufgrund des Frauseins?
Ja klar, ständig. Also das ist wirklich verrückt. Ich merke einfach, dass ich komplett anders interviewt werde als Männer. Da geht es immer darum, ob ich die Protagonistin bin. Ich werde nie wieder ein Buch schreiben, das nur annähernd den Eindruck machen könnte, es hätte mit mir zu tun, weil ich keine Lust mehr auf übergriffige Fragen habe. Aufgrund dieser Fragen habe ich die Hauptfigur Katharina Webeling genannt, weil ich dachte, ich trickse sie aus. Ist nach hinten losgegangen.
Das Leben ist keine Kurve nach oben, es ist eine gerade Linie, mit Huckeln und kleinen Löchern. Man wird nicht immer krasser.
Katharina sucht im Buch ja auch nach dem Sinn des Lebens und hadert mit ihrem. Kann ein gutes Leben nicht auch sinnlos sein?
Das ist eine sehr philosophische Frage. Ich bin auf jeden Fall jemand, der einen Sinn im Leben braucht. Ich beneide Leute, die gläubig sind darum, da wird der Sinn mitgeliefert oder Leute, bei denen es darum geht, für ihre Kinder da zu sein. Als Singlefrau allein in der Großstadt, wenn man in das Alter kommt, wo man sich nicht immer mit neuen Dates ablenkt, fragt man sich schon: wofür das alles? Ich glaube nicht, dass man einen Partner oder Kinder braucht, um einen Sinn des Lebens zu haben, aber ich glaube, irgendeinen Sinn brauchen wir alle.
Klingt aber auch nach viel Druck.
Diese Selbst-Schuldzuweisung ist furchtbar, ja. Wenn man denkt, man ist die letzten fünf Jahre überhaupt nicht weitergekommen, nur weil immer erwartet wird, dass man sich im Leben weiterentwickelt und das eine Kurve nach oben ist. Dabei finde ich, das Leben ist so eine gerade Linie, mit Huckeln und kleinen Löchern. Man wird nicht immer krasser. Wer einen Sinn für die Außenwelt sucht, hat halt keinen Sinn gefunden.