Journal Mittwoch, 5. März 2025 – Die Dementoren übernehmen / Rebecca F. Kuang, Yellowface
Frostig-sonniger Morgen. Der Zirkus Krone hat wieder sein Zelt (neu?) auf der Theresienwiese aufgeschlagen. Ich genoss den Marsch in die Arbeit, surfte weiter auf der Welle aus Energie, super-alerten Sensoren und Kreativität, die mich fröhlich durch die vier freien Tage getragen hatte, es sprossen Ideen. Im Büro brach diese Welle schlagartig, beim Öffnen des Postfachs […]

Frostig-sonniger Morgen.
Der Zirkus Krone hat wieder sein Zelt (neu?) auf der Theresienwiese aufgeschlagen. Ich genoss den Marsch in die Arbeit, surfte weiter auf der Welle aus Energie, super-alerten Sensoren und Kreativität, die mich fröhlich durch die vier freien Tage getragen hatte, es sprossen Ideen.
Im Büro brach diese Welle schlagartig, beim Öffnen des Postfachs übernahmen die Arbeits-Dementoren und saugten alle Energie ab in Aufgabenerfüllung. (Das Verfassen eines Besinnungsaufsatzes zur Begründung einer Taxifahrt hebe ich mir aber für eine wieder kreativere Phase am Donnerstag auf.)
Das Draußen blieb wundervoll, ich riss mich los für einen Mittagscappuccino im Westend.
Zügiges Abarbeiten, dazwischen sah ich sowas wie Struktur. Hastiges Mittagessen ohne Pause, es gab Karottensalat (den es bis Ende der Lagersaison wohl noch ein paar Mal geben wird: Braucht viele Karotten auf und schmeckt).
Aber farblich abgestimmt auf meine Kürbisbluse.
Nachmittags nochmal ordentlich was weggeschafft. Feierabend bei deutlichem Tageslicht, ich verließ das Bürohaus in milder Luft und erstem Frühlingsduft. Ausführliche Einkäufe zum Auffüllen der Süßigkeitenkiste.
Daheim der übliche Mix aus Häuslichkeiten, Brotzeitvorbereiten, Yoga-Gymnastik. Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell Crowdfarming-Avocados als köstliche Guacamole zu gefüllten, überbackenen Weizen-Tortillas, ich machte nochmal eine Schüssel Endiviensalat, diesen mit Himbeeressig-Dressing. Nachtisch jetzt wieder viel Schokolade.
Früh ins Bett zum Lesen, Yellowface von Rebecca F. Kuang ausgelesen.
Ein satirirscher Thriller, der in der US-amerikanischen Literatur-/Verlagsszene spielt, das ist originell: Jung-, aber nicht mehr ganz Jungautorin June Hayward erlebt, wie ihre chinesisch-stämmige Freundin und Erfolgsautorin Athena Liu bei einem Unfall in ihrer Wohnung stirbt – und stiehlt von deren Schreibtisch das einzige Manuskript ihres nächsten Romans. June ist bislang mit ihren schriftstellerischen Ambitionen gescheitert und gibt jetzt, nach einer Überarbeitung, dieses Manuskript als ihr Werk aus, einen Roman über die chinesischer Arbeitskräfte an der Seite der Alliierten im Ersten Weltkrieg. Der Betrug funktioniert zunächst, June sonnt sich endlich in dem Ruhm der Literatur-Agenten, Bestsellerlisten, Feuilletons, Online-Literaturplattformen und Social Media, um den sie Athena immer beneidete – doch natürlich geht das nicht lang gut.
Das fand ich durchaus gut gemacht, vor allem die Erzählstimme wird gekonnt eingesetzt: Wir lesen die Geschichte aus der Ich-Perspektive von June, die sich als souveräne Heldin darstellen möchte, deren Handlungen im Grunde unausweichlich sind, deren kleinlicher, egoistischer und uneigenständiger Charakter aber genau dadurch offensichtlich wird. Die Verwicklungen, durch die sich June in immer weitere Schwierigkeiten bringt, sind schön in die derzeitigen literarischen und gesellschaftlichen Diskussionen eingebaut, wie stark sich biografischer Hintergrund und Recht auf Verwendung von Themen bedingen.
Insgesamt war mir die Handlung aber doch zu platt und vorhersehbar: Mir fehlte eine Dimension, die über diese satirische Behandlung von literarischen Karrieren in den USA und sogar von persönlichen Befindlichkeiten hinaus ging. Das machte den Roman für meinen Geschmack zu zeitgebunden und – eine weitere Schleife zu den vielen in der Handlung – zu sehr auf den jetzigen Buchmarkt ausgerichtet. (Eben entdeckte ich, dass die deutsche Übersetzung bei Bastei Lübbe erschienen ist – das passt.)