Font&Form: Der übersehene Code des Wahlkampfs
Typedesigner Sven Fuchs über die Eigenheiten von Wahlkampf-Type. Typografisch analysiert – ohne politische Wertung Farben, Köpfe, Logos, Statements – die Kampagnen der Parteien zur Bundestagswahl lassen sich auf wenige Bausteine reduzieren. Doch ...

Typedesigner Sven Fuchs über die Eigenheiten von Wahlkampf-Type. Typografisch analysiert – ohne politische Wertung
Farben, Köpfe, Logos, Statements – die Kampagnen der Parteien zur Bundestagswahl lassen sich auf wenige Bausteine reduzieren. Doch was ist eigentlich mit den Schriften, die auf den Plakaten verwendet werden? Passen die Assoziationen, die sie wecken, zu den Aussagen, die sie vermitteln sollen? Welche Partei hält sich an ihren eigenen Styleguide – welche bricht aus und warum?
SPD: Kontinuität in The Sans
Bereits seit über zwanzig Jahren nutzt die Partei die »SPD The Sans« aus der Thesis-Familie von Luc(as) de Groot als Hausschrift. Sie ist also ein fester Markenbaustein der SPD und ein Gegenstatement zu kurzlebigen Trends. Modern, aber nicht modisch – eine zeitlose Wahl, die klare Haltung und Verlässlichkeit ausstrahlt. Im Versalsatz vermittelt sie zudem Stärke.
So passt sie zur generellen Ausrichtung der Kampagne, die Olaf Scholz als ruhenden Pol in aufgeregten Zeiten inszeniert und Begriffe wie »Sicherheit« in den Fokus rückt. Zugleich verkörpert sie als humanistische Sans Serif Werte wie Solidarität und soziale Gerechtigkeit: Typografie als stiller, aber wirkungsvoller Träger sozialdemokratischer Identität.
CDU: Offiziell in Inter und IBM Plex
Als einzige große Partei setzt die CDU auf eine Schriftmischung aus Sans und Antiqua: Die serifenlose Inter von Rasmus Andersson trifft auf die IBM Plex Serif von Bold Monday. Diese Kombination erzeugt klare Hierarchien, visuelle Tiefe und wirkt fast schon hoheitlich: als wäre es die Regierung, die mit einem kommuniziert. Während die Inter für Sachlichkeit und Moderne steht, verleiht die IBM Plex Serif mit ihren Serifen der Gestaltung eine traditionelle Autorität.
Die Wahl letzterer ist besonders spannend: Als Hausschrift von IBM trägt sie eine digitale DNA in sich. Sie weckt Assoziationen zu Innovation, Technologie und Fortschritt. Durch die Balance aus zeitgemäßer Funktionalität und klassischer Typografie spiegelt die Kampagne der CDU somit den Spagat zwischen Bewahrung und Erneuerung wider.
Die Grünen: Zuversicht in Gotham und GrueneType
Die Grünen setzen mit der Gotham von Jonathan Hoefler und Tobias Frere-Jones auf eine Schrift, die seit Barack Obamas Wahlkampf für Reformkraft und visionären Pragmatismus steht: »Hope« und »Chance« titelte Obama – »Zuversicht« und »Zusammen« plakatieren die Grünen. Frei nach ihrem Slogan »Ein Mensch, ein Wort.« Die sachliche Klarheit der Gotham im Versalsatz verleiht den Botschaften seriöse Entschlossenheit.
Hinzu kommt die Eigenentwicklung GrueneType, die in den Sublines kursiv eingesetzt wird und behutsam Innovation vermittelt. Ein typografischer Mittelweg zwischen Tradition und Fortschritt, der aber auch eine gewisse Unentschlossenheit offenbart: Die Gotham mit ihren offenen Formen trifft auf die geschlossener wirkende Neo-Grotesk GrueneType.