Baerbocks Rückzug aus der Spitzenpolitik: Die Mär von "You can have it all"
Außenministerin Annalena Baerbock, 44, gab bekannt, keine Spitzenposition mehr anzustreben – um mehr Zeit für ihre Töchter zu haben. Ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen endgültig gescheitert?

Außenministerin Annalena Baerbock, 44, gab bekannt, keine Spitzenposition mehr anzustreben – um mehr Zeit für ihre Töchter zu haben. Ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen endgültig gescheitert?
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern hat es getan, Linken-Parteichefin Susanne-Hennig Wellsow, Bundesfamilienministerin Anne Spiegel und nun auch ihre Parteikollegin Annalena Baerbock: Frauen ziehen sich aus der Spitzenpolitik zurück, um mehr Zeit für die Familie zu haben.
Nach "Jahren auf Highspeed" möchte Noch-Außenministerin Baerbock ein paar Gänge runterschalten. Wie die 44-Jährige in einem Brief an die Fraktion und den Grünen-Landesverband Brandenburg schreibt, strebt sie im neuen Bundestag keine neue Führungsrolle als Fraktionschefin an. Seit 2008 habe sie bei den Grünen politische Verantwortung getragen, 2018 wurde sie Parteivorsitzende, 2021 die erste Kanzlerkandidatin ihrer Partei. "In all dieser Zeit habe ich immer alles gegeben", schreibt sie, und weiter: "Zugleich hatten diese intensiven Jahre auch einen privaten Preis."
"Wie viel kann ich meiner Familie zumuten?"
Baerbock hat zwei Töchter, 9 und 13. Im November gab sie mit ihrem Ehemann Daniel Holefleisch die Trennung bekannt. Im "Zeit-Magazin" erzählte die Außenministerin, wie eine der Töchter schon im ersten Regierungsjahr gesagt habe: "Mama, ich vermisse dich so sehr, ich sehe dich immer nur so kurz". Baerbock habe auch gemeinsame Urlaube absagen müssen, und nach einem Stalking-Versuch mussten ihre Kinder von Sicherheitsleuten beschützt werden. Schon damals habe sie sich die Frage gestellt: "Wie viel kann ich meiner Familie zumuten?"
Eine Frage, die sich Männer offenbar kaum stellen. Oder wenn doch, ziehen sie seltener Konsequenzen (Ausnahme: Sven-Christian Kindler, der 2024 seinen Posten als Chefhaushälter der Grünen-Fraktion zugunsten seiner Familie aufgab). Nicht, weil ihnen ihre Kinder egal wären, sondern weil patriarchale Narrative es normalisiert haben, dass der Mann Karriere macht, während die Stelle für die Familienarbeit von der Frau besetzt wird. Doch heute will und muss sie noch viel mehr leisten.
"'You can have it all' ist auf Vereinbarkeit bezogen eine Lüge"
So wie die Babyboomer in den Sechzigern ihre Väter vermisst haben, die sie vor lauter Arbeit kaum zu sehen bekamen, werden heute auch die Mütter vermisst. Denn in den vergangenen Jahrzehnten wurden Frauen dazu ermuntert, so viel zu arbeiten wie Männer, sagte die dänisch-schwedische Aktivistin Emma Holten zu BRIGITTE. Doch solange Frauen sich gleichzeitig für die Care-Arbeit zuständig fühlen, funktioniert das nicht besonders gut. Die Autorin Sarah Zöllner ("Mütter in die Politik!") drückt es so aus: "'You can have it all' ist auf Vereinbarkeit bezogen eine Lüge". Und so verwundert es wenig, dass Mütter sich aus hart erkämpften Spitzenpositionen zurückziehen, um wieder mehr für ihre Kinder da sein zu können.
Das ist nachvollziehbar, aber auch bitter. Gerade jetzt, wo feministische Fortschritte zusehends rückabgewickelt werden, ist es enorm wichtig, dass Frauen Spitzenpositionen bekleiden. Der voraussichtlich nächste CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz hält nichts von Geschlechterparität, und der Frauenanteil im neuen Bundestag wird so niedrig sein wie seit 1998 nicht mehr. Höchste Zeit, dass Job-Sharing endlich auch ganz oben möglich gemacht wird und Frauen und Männer sich die Arbeit 50:50 aufteilen – im Beruf und in der Familie.