Wenn Eltern alt werden : 15 Ideen für ein gutes Miteinander
Wie kann es gelingen, mit den Eltern in Kontakt zu bleiben und sie im Alter zu unterstützen? Welche Fragen sollten geklärt werden? Expertin Peggy Elfmann gibt wertvolle Anregungen.

Wie kann es gelingen, mit den Eltern in Kontakt zu bleiben und sie im Alter zu unterstützen? Welche Fragen sollten geklärt werden? Expertin Peggy Elfmann gibt wertvolle Anregungen.
Viel reden – hilft wirklich!
1. Diese eine Frage stellen
Als meine Mutter die Diagnose Alzheimer erhielt, recherchierte ich viel. Ich wollte meinen Eltern helfen und erwartete, dass sie all die Möglichkeiten nutzen (und zwar am besten umgehend): von der Tagespflege bis zur Ergotherapie. Meine Mutter verstand all das nicht mehr, mein Vater lehnte es ab. Unsere Gespräche endeten damit, dass ich frus-triert war, weil meine Hilfe nicht ankam. Was ich erst später kapierte: Mein Vater fühlte sich von meinem Aktionismus überfordert und übergangen. Was besser klappte: ihn zu fragen, was er braucht. Ich merkte, wie wichtig es war, ihm erst mal zuzuhören. Es brauchte viele Gespräche und – ehrlich gesagt – auch viel Geduld (und Aushalten), aber es wirkte besser als gut gemeinte Ratschläge. Es hilft, sich Zeit zu nehmen, diese eine Frage zu stellen: "Wie geht es dir wirklich?" und dann erst mal nur zuzuhören.
2. Alle an einen Tisch holen
Care-Arbeit bringt zeitliche, finanzielle und emotionale Belastungen mit sich – gut ist, wenn sich die Aufgaben der Elternpflege auf mehrere Schultern verteilen lassen. Das klingt simpel, aber im Alltag klappt das selten so easy, denn die Beteiligten haben in der Regel unterschiedliche Vorstellungen davon, was nun das Beste sei für die Pflege und die Person. Hilfreich sind Familienkonferenzen. Das sind strukturierte Treffen, bei denen alle Familienmitglieder beziehungsweise diejenigen, die in die Pflege eingebunden sind, gemeinsam über den Unterstützungsbedarf sprechen und überlegen, wie sich die Aufgaben bewältigen lassen. Dazu braucht es auch Offenheit, und dass jede und jeder Beteiligte klar sagt, welche Ressourcen derzeit vorhanden sind, und welche To-dos übernommen werden können. Am besten trifft man sich regelmäßig.
3. Ein Netzwerk von Helfenden schaffen
"Es wird einsamer", sagte mein Papa in den vergangenen Jahren häufig. Gerade pflegende Angehörige und Menschen im Alter sind oft allein und auf sich gestellt. Was fehlt, sind praktische Hilfe und Unterstützung, aber auch Geselligkeit und Gemeinschaft. Familienmitglieder können vieles tun, aber nicht all das auffangen. Deshalb ist mein Tipp: Für und mit den Eltern Netzwerke bilden. Nicht nur bei der Kindererziehung, auch beim Pflegen braucht es ein Dorf, das fürei-nander da ist. Zu so einer Bande, wie ich es nenne, können formelle Angebote wie der ambulante Pflegedienst, die Tagespflegeeinrichtung oder Ehrenamtliche gehören, aber auch Freundinnen, Nachbarn und ehemalige Arbeitskolleginnen. Besonders wichtig ist so ein Netzwerk aus Unterstützenden, wenn man nicht vor Ort lebt. Denn im Notfall kann eine vertraute Person schnell bei den Eltern sein.
Lass uns was Schönes zusammen machen!
4. Lieblingsmusik sammeln
Musik hat eine ganz besondere Wirkung auf uns Menschen. Viele Pflegebedürftige werden wieder wacher und aktiver, wenn sie ihre Lieblingsmusik hören – einige fangen sogar an zu summen oder zu singen, obwohl sie im Alltag kaum sprechen. Die Lieblingsmusik der Mutter und des Vaters zu kennen, ist eine besondere Ressource. Wer weiß, welche Lieder oder Musikstücke die Eltern mögen, sie fröhlich machen oder beruhigen, tut gut daran, diese aufzuschreiben. Wer das nicht so genau weiß, kann sich gemeinsam mit den Eltern auf eine musikalische Reise in die Lebensgeschichte begeben und die Lieder in Playlists sortieren. Das sorgt schon beim Tun für schöne Momente.
5. Die Orte der Kindheit entdecken
Eine gemeinsame Reise in die Vergangenheit hat das Potenzial, ein besseres Verständnis füreinander zu schaffen. Als ich vor einigen Jahren mit meinem Vater an seine Kindheitsorte reiste, habe ich erstmals richtig verstanden, woher er kommt und warum er bestimmte Einstellungen hat. Wir standen dort, wo einst das Haus gewesen war, in dem er die ersten Lebensjahre verbracht hatte, und auch vor dem ehemaligen Waisenhaus und dem Park, in dem sie von Soldaten etwas zu essen schnorrten. Ich spürte, wie sehr ihn das prägte: eine Kindheit voller Verluste und der Erfahrung, für sich allein sorgen zu müssen. Kein Wunder, dass es ihm auch im Alter schwerfällt, anderen zu vertrauen und Hilfe anzunehmen.
6. Erinnerungen festhalten
Die Eltern im Alltag fotografieren? Mich mit ihnen? Das machte ich kaum. Oft griff ich dann zur Kamera, wenn der Moment besonders schön war, oder meine Kinder dabei waren. Das Resultat: Ich hatte kaum Fotos. Auch im Pflege-Alltag scheute ich mich. Die Krankheit meiner Mama verunsicherte mich, an ihrem Äußeren hinterließ sie irgendwie Spuren: Meine Mutter schaute abwesend, die Haare waren strubbelig – ich wollte sie nicht bloßstellen. Als ich merkte, dass ich kaum Bilder von ihr hatte, fing ich an, im Alltag zu fotografieren. Es waren normale Situationen und doch so wichtig, heute zum Erinnern. Davon mal abgesehen: Was passiert, wenn wir nur schöne Momente festhalten, aber in echt so viel mehr erleben? Die Bilder zeigten: Selbst in banalen Situationen, etwa wenn mein Vater meiner Mutter beim Essen geduldig die Gabel hält, oder die Kinder sie beim Gehen links und rechts stützen, steckt Schönes.
Veränderungen anpacken: So geht’s
7. Alternativen zum Autofahren finden
Wenn die Mutter oder der Vater nicht mehr sicher Auto fahren oder durch eine Krankheit fahruntauglich ist, braucht es ein Fahrverbot. Das kann ärztlich angeordnet werden. Oftmals ist der Weg dahin aber lang und nicht so eindeutig. Dazu kommt: Der Abschied vom Auto fällt vielen Menschen schwer, gerade in ländlichen Gegenden: Einkaufen, Arztbesuche und Ausflüge sind scheinbar nicht mehr möglich. Gut, wenn die Eltern ein Netzwerk haben, und ein Freund, die Nachbarin oder eine Ehrenamtliche Einkaufsfahrten übernehmen können. Für kleine Wege funktioniert möglicherweise auch das Fahrrad. Lieferdienste können Einkäufe bringen, Menüdienste bei den Mahlzeiten entlasten. Auch das Taxi kann zur Alternative werden. Für notwendige Fahrten zur Ärztin oder ins Krankenhaus kann die Ärztin ein Rezept verordnen. Für Fahrten zur wöchentlichen Physiotherapie oder ambulanten Reha kann auch die Krankenkasse für die Taxikosten aufkommen, die Person muss in der Regel eine Zuzahlung leisten.
8. Einen Treppen-Check machen
Ein häufiges Thema, wenn es um sicheres Wohnen im Alter geht, sind Treppen und Stufen. Es muss nicht immer gleich ein Umbau sein, vielleicht helfen zunächst kleine Veränderungen wie ein zusätzlicher Handlauf oder eine Treppensteighilfe. Wer umbauen möchte, wendet sich am besten an die Pflegeversicherung, da sie beim Umbau, sofern er die Pflege erleichtert, einen finanziellen Zuschuss leisten kann – und zwar bis zu 4000 Euro pro Maßnahme. Voraussetzung dafür ist ein Pflegegrad. Wichtig: Der Antrag muss unbedingt vorab und mit einem Kostenvoranschlag gestellt werden, rückwirkend erstatten die Kassen die Kosten nicht.
9. Für ein Küchen-Update sorgen
Das Schreckgespenst, das in vielen Filmen und Büchern in puncto Pflegebedürftigkeit auftaucht, ist die abgebrannte Küche, weil ein Topf zu lange auf dem Herd stand und ein Brand ausgelöst wurde. Das Szenario spukt auch in meinem Kopf herum. Aber wie realistisch ist es? Mein Rat: Erst mal hinschauen, wie Mutter und Vater die Abläufe in der Küche und die Nutzung der Geräte im Griff haben. Einfache Abhilfe kann eine Herdsicherung schaffen, die auch nachträglich installiert werden kann. Wie ist der Zustand der elektrischen Küchengeräte? Sind sie intakt, oder ist vielleicht ein defektes Kabel eine potenzielle Gefahr? Neben Sicherheitsaspekten ist es auch wichtig, auf die Handhabung zu achten: Kommen die Eltern gut an die Gläser im oberen Schrank, stehen die Utensilien an einem geeigneten Ort und können gut bedient werden? Eine neue Ordnung kann für einen besseren Überblick sorgen – und hilfreich sein.
Rechtzeitig regeln, was zu regeln ist
10. Sich an wichtigen Papierkram wagen
Einer ärztlichen Untersuchung zustimmen, den Wohnungsvertrag unterschreiben oder den Antrag bei der Rentenkasse einreichen: Das sind Dinge, die jede Person eigenständig tun muss. Was aber, wenn das nicht mehr geht? Anders als häufig gedacht, dürfen die nächsten Angehörigen eine Person nicht automatisch vertreten, wenn diese geschäftsunfähig ist (mit Ausnahme des Ehegattennotvertretungsrechts, das allerdings nur begrenzt und befristet gilt). In einer Vorsorgevollmacht können die Eltern festhalten, wer sie vertreten soll. Es können eine oder mehrere Personen eingesetzt werden, die Vollmacht kann eine Generalvollmacht sein oder auf einzelne Bereiche begrenzt werden. Wer selbst noch keine Vorsorgevollmacht hat, kann das ja gemeinsam mit den Eltern angehen. Denn auch in jungen Jahren können wir durch einen Unfall hilfebedürftig werden.
11. Den Notfall vorbereiten
Was tun, wenn den Eltern zu Hause etwas passiert, das eine schnelle Reaktion erfordert? Hilfreich kann ein Hausnotrufsystem sein, das es auch mit entsprechenden Armbändern oder Uhren gibt. Wichtig ist, dass Mutter und Vater diese Geräte gut bedienen können. Ich merkte, dass mein Vater sich scheute, auf den Knopf zu drücken, selbst im Notfall, als meine Mama stürzte. Damit die Eltern sicher im Umgang sind, ist es ratsam, den Notfall zu üben und sie immer mal wieder den Hausnotruf benutzen zu lassen. Das baut nicht nur Hemmungen ab, gleichzeitig werden die Geräte so auch auf ihre Funktionalität getestet. Damit im Notfall bestmöglich geholfen werden kann, sollten Krankheitsdiagnosen, Medikamentenplan und die Adresse vom Hausarzt bei den Notfallunterlagen und im System hinterlegt sein und regelmäßig aktualisiert werden.
12. Die Finanzen klären
Für viele Pflegemaßnahmen gibt es eine finanzielle Unterstützung der Pflegeversicherung. ABER: Das ist nicht mehr als eine Teilkaskoversicherung. Beispielsweise liegt die durchschnittliche monatliche Eigenbeteiligung für Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims bei 2548 Euro. Wer kann sich das leisten bei einer Durchschnittsrente von 1543 Euro für Männer und 1173 für Frauen? Auch bei der Tagespflege, bei Pflegehilfsmitteln oder der Betreuung müssen Pflegebedürftige oft selbst zahlen. Viele pflegende Angehörige reduzieren ihre eigene Arbeitszeit – zulasten der späteren Rente. Hier lohnt sich Offenheit über die finanzielle Situation und eine Pflegeberatung, um zu erfahren, wie sich die Unterstützungsleistungen der Pflegeversicherung nutzen lassen. Reichen die Rente oder das Vermögen nicht aus, um den Aufenthalt im Pflegeheim oder häusliche Pflege zu bezahlen, kann das Sozialamt dafür aufkommen, nach einem Antrag auf die sogenannte „Hilfe auf Pflege“.
Und was ist eigentlich mit mir?
13. Detektivin für sich selbst sein
Es mutet vielleicht sehr therapeutisch an, aber kann im Kümmern und Pflegen der älter werdenden Eltern doch so hilfreich sein: die Beziehung, die man miteinander hat, genauer zu betrachten und herauszufinden, weshalb man hilft (oder eben auch nicht). Ich habe mich lange Zeit nicht damit beschäftigt, aber nach Gesprächen und Selbstreflexion gemerkt, dass ich immer wieder in die gleiche Falle tappte. Ich wollte alles perfekt erledigen: meine Rolle als Mutter und Berufstätige und auch die als pflegende Tochter. Dass das im Alltag schier nicht möglich war, merkte ich immer wieder. Der Frust war vorprogrammiert, denn wie sollten all die Aufgaben perfekt erledigt werden können? Verstärkt wurde all das dadurch, dass mein Vater gut gemeinte Ideen oft nicht annehmen konnte. Irgendwie hatte ich mir dadurch auch Liebe, Nähe und Wertschätzung erhofft. Diese Selbstreflexion war schwer, half mir aber, meine Rolle und deren Grenzen zu sehen. Beim Begleiten der Eltern hilft es, die eigenen Bedürfnisse klar von deren trennen zu können.
14. Vorbilder und Verbündete suchen
Das Kümmern und Pflegen der Eltern kann einsam machen. Ich habe mich lange allein damit gefühlt und wusste nicht, an wen ich mich wenden konnte. Freundinnen hörten zu, aber ich wollte sie nicht mit meinen Problemen belasten und mich erklären. Mir fiel es schwer, darüber zu sprechen. Dass mich die Krankheit und das Kümmern um meine Eltern emotional so bedrückte, fühlte sich wie persönliches Unvermögen an. Doch im Gespräch mit anderen pflegenden Angehörigen merkte ich, dass das nicht an mir lag, sondern dass Pflegen einfach eine große Herausforderung ist. Es braucht Zeit und Energie, um Mutter und Vater zu begleiten und zu pflegen, und doch denken wir, wir könnten das alles allein wuppen. Mir half, mich mehr mit anderen Menschen zu verbinden. In anderen Angehörigen fand ich Vorbilder und Verbündete. Freundschaften zu pflegen und mich Herzensmenschen gegenüber zu öffnen, stärkt meine eigene Bande, immer wieder.
15. Sich selbst Zeit und Ruhe schenken
Die Eltern im Alter zu begleiten, ist emotional anstrengend. Es ist eine Zeit der Veränderungen und Verluste. Wir als Kinder müssen loslassen und uns verabschieden. Gleichzeitig heißt es, neue Verantwortung zu schultern. Im Pflegen werden wir immer wieder Fehler machen, auch weil vieles neu ist. Das strengt an, ganz normal. Wichtig ist es, dabei gut auf sich zu achten. Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern die Basis. Es braucht nicht unbedingt den zweiwöchigen Wellnessurlaub (der natürlich wunderbar zum Abschalten wäre), schon kleine regelmäßige Pausen im Alltag können viel bringen. Mir hilft, mich ans Fenster zu setzen oder auf den Balkon und in den Himmel zu schauen. Aber auch joggen, einen Film anschauen oder einen Roman lesen tut mir gut. Einfach nur nicht vergessen, sich selbst immer mal wieder Zeit und Ruhe schenken!