Unordnung in der Beziehung : "Oft verbirgt sich unter dem Chaos ein Paarkonflikt"
Wenn man mit dem/ der Partner:in über Unordnung in der Wohnung streitet, steckt oft ein ganz anderes Beziehungsthema dahinter. Zwei Aufräumberaterinnen gucken hinter die Kulissen.

Wenn man mit dem/ der Partner:in über Unordnung in der Wohnung streitet, steckt oft ein ganz anderes Beziehungsthema dahinter. Zwei Aufräumberaterinnen gucken hinter die Kulissen.
Krachend brach das Raumschiff in sich zusammen. Astronauten fielen zu Boden, die Kommandozentrale lag in Trümmern. Michelle seufzte. "Da seht ihr es: Alltag in meinem Arbeitszimmer." Das havarierte Raumschiff war aus "Lego" konstruiert, ein Meisterwerk kindlicher Baukunst. Es hatte sich nur leider einen ungünstigen Ort zum Parken ausgesucht: direkt vor dem Schreibtisch.
Wir standen zu dritt in Michelles Arbeitszimmer, sie hatte uns als Aufräumberaterinnen zu Hilfe geholt, weil sie das Chaos einfach nicht in den Griff bekam. Das Sofa, auf das wir uns gerade setzen wollten, war leider nicht benutzbar – da über und über bedeckt von Stapeln unerledigter Post, leeren Briefumschlägen und Ordnern. Alles Unterlagen von ihrem Mann Lars, erklärte uns Michelle. Der kapiere gar nicht, wie belastend es für sie sei, dass er ihren Raum so okkupiere.
Zwei Aufräum-Profis
Wir, Johanna Lemke und Sabrina Rox, beraten Menschen beim Aufräumen. Misten aus, sortieren und strukturieren, wir bahnen uns Wege durch zugestellte Zimmer, ordnen chaotische Schubladen und reduzieren Massen an Kleidern. Ordnung ist eines der großen Themen unserer Zeit: Fast alle haben zu viel Zeug, kaufen viel mehr, als sie brauchen, und können sich von all den gesammelten Dingen nur schwer trennen. Je mehr man jedoch besitzt, desto schwieriger ist es, eine Ordnung zu schaffen, in der man alles immer wiederfindet – oder zumindest weiß, wo man suchen muss. Ein cleaner Lifestyle bleibt für viele ein unerreichbarer Traum aus dem Einrichtungskatalog.
Wir sind keine Minimalistinnen. Dinge sind toll, wenn sie uns an schöne Erlebnisse erinnern oder im Alltag unterstützen. Aber wir erleben in unserem Job auch regelmäßig, wie sehr Menschen unter Unordnung leiden. Unter dem Kleiderschrank, dessen Inhalt sich wegen akuter Überfüllung bis aufs Bett ausdehnt. Unter dem Chaos in Ordnern, in denen man nie das richtige Dokument findet. Unter dem wieder und wieder scheiternden Versuch, die Küchenarbeitsplatte am Abend eben kein Schlachtfeld sein zu lassen. Das Spannende ist: All das erzählt uns ziemlich viel über uns selbst. Oder über unsere Beziehung.
Chaos in der Beziehung
Bei vielen Aufräumeinsätzen schwelt unter dem Chaos ein Paarkonflikt. Und klar kann man sich über Socken auf dem Sofa ärgern – aber der wütende Streit, der über die entbrennt, hat oft gar nicht so viel mit den Socken zu tun. Oft kommt beim Räumen, Schieben und Ausmisten mit unseren Kundinnen und Kunden nicht nur die längst vergessene Liebesbriefsammlung zum Vorschein, sondern auch die Box mit der Aufschrift "Unsere Beziehungsthemen".
Der ganze Stress, der sich an der Unordnung aufhängt, ist meist nur die Fassade. Nicht die Unordnung ist der Grund für Konflikte, sie ist das Warnzeichen. Dafür, dass hier was anderes nicht stimmt: Mal fehlt es an Nähe, mal gibt es zu wenig Kommunikation, dann wieder steckt das Paar in einem Machtkampf.
In diesen gerieten wir bei einem anderen Paar hinein: Anita und Andreas. Hier brodelte es schon, als wir gerade den Kopf zur Tür hereinsteckten. Sie konnten kein gutes Haar aneinander lassen und warfen einander permanent Versagen im Haushalt vor: Andreas warf Anita vor, die Spülmaschine falsch einzuräumen, Anita regte sich über Andreas’ mangelhafte Wäscheroutine auf.
Beide kämpften mit aller Kraft darum, recht zu haben, und das Thema Unordnung war ihre Arena. Wir teilten dann "Hoheitsgebiete" auf: Anita wurde die Küchenbeauftragte, Andreas der Wäsche-Chef. Beide durften einander nicht mehr reinreden, aber auch keine Schreckensherrschaft auf ihrem Gebiet errichten, sie sollten vielmehr mit Liebe und Güte "regieren". So konnten sie ihren Machtkampf beenden.
Aufräumberaterinnen sind keine Therapeutinnen. Aber während wir mit den Paaren Ordnung schaffen, finden sich oft Ansätze, die ihnen als Paar weiterhelfen. Aufräumen ist wie mit dem Wischmopp durch die Beziehung zu gehen, wie eine Inventur des Alltags, wie ein Stoßlüften im Keller, in dem die unausgesprochenen Sätze lagern.
Was hinter der Unordnung in Michelles Zimmer steckt
Michelle, bei der wir vor dem eingestürzten Raumschiff standen, arbeitete viel von zu Hause aus – in eben diesem Zimmer, das permanent durch Spielsachen blockiert wurde. Sie fühlte sich in der Familie hauptverantwortlich für die zwei Kinder und den Haushalt, wollte aber auch in ihrem Job Gas geben. Ihr Arbeitszimmer, in dem sie nicht mal ihren Stuhl verschieben konnte, ohne "Lego"-Kunstwerke zu zerstören, stand symbolisch für den inneren Zwiespalt, in dem Michelle steckte. Darum brachten wir erst einmal alles Spielzeug ins Kinderzimmer und schufen dort mit einem Teppich und einer Lichterkette eine angenehme Atmosphäre, um die Kinder davon zu überzeugen, das Zimmer auch zu nutzen.
Tatsächlich merkten wir aber während des gemeinsamen Aufräumens, dass es gar nicht so sehr die Kinder waren, die Michelle in ihrer Entfaltung blockierten. Ihr Mann Lars hatte mehr damit zu tun, als ihm lieb war – Michelles Problem war eigentlich ein Paarproblem.
Er wisse halt nicht, wo er seine Post sonst hinlegen solle, sagte Lars widerwillig, als wir ihn auf die Papiere auf der Couch ansprachen. Für ihn war die Unordnung das Problem seiner Frau, er fühlte sich überhaupt nicht mit-verantwortlich dafür, dass Michelle unter einem fehlenden Raum litt.
Aufräumen kann aktive Beziehungsarbeit sein. Vielleicht, weil man gar nicht so viel redet, sondern anpackt – und wie nebenbei feststellt, welche unguten Gewohnheiten sich etabliert haben. Wir richteten Lars ein Postfach im Flur ein, an dem wir auch Locher und Ordner deponierten, damit er hier gleich alles abheften konnte. Zusehends leerte sich Michelles Zimmer, ihre Couch atmete förmlich auf. Stück für Stück wurde es wieder ihr Raum.
Es werde ihr noch schwerfallen, die Kinder rauszuschicken, sagte Michelle, bevor wir gingen. Und fügte hinzu: "Ich muss aber auch Lars klar sagen, dass er mein Zimmer zu respektieren hat."
Aufräumen kann nicht nur Räume verändern, sondern Berge versetzen. Selbst wenn das bedeutet, seinen Frieden damit zu machen, dass der Partner oder die Partnerin weniger aufräumt. Und eins können wir sicher sagen: Wenn Partner:innen wieder Verbündete werden, können ihnen auch umstürzende Raumschiffe wenig anhaben.
Tipps für eine aufgeräumte Beziehung
Hoheitsgebiete schaffen. Teilen Sie sich Bereiche oder Räume auf, für die dann jeweils eine Person zuständig ist, schalten und walten darf – er macht die Wäsche, sie ist für die Küche zuständig. Reinquatschen verboten!
Familienrotation einführen. Wechseln Sie – auch mit Kindern – regelmäßig die Aufgaben, etwa im Wäschekreislauf. Das schafft Respekt vor der Arbeit der anderen!
Unterschiedlichkeiten als Superkraft begreifen. Versuchen Sie, Verschiedenartigkeit für sich zu nutzen: Die Kreative sorgt für Gemütlich- und Lebendigkeit, der Minimalist für Struktur und Ordnung.
Rückzugsort einrichten. Komplett ändern werden Sie den größten Aufräummuffel nicht – schaffen Sie sich lieber eine immer ordentliche Insel, auf die Sie sich im Chaos zurückziehen können.
Codewort benutzen. Wenn gar nichts mehr hilft und sich ein typischer Streit über Unordnung anbahnt: Ersticken Sie mit einem (am besten lustigen) Codewort den Zank im Keim und erinnern Sie sich lieber gemeinsam an die Lösungen.