Mut zum Parteien-Bekenntnis : Warum jetzt immer mehr Leute verraten, wen sie wählen

Das Wahlgeheimnis soll uns vor äußerem Druck und Nachteilen schützen. Trotzdem sprechen jetzt immer mehr Promis öffentlich darüber, welche Partei am 23.2. ihre Stimme bekommt. 

Feb 18, 2025 - 08:38
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Mut zum Parteien-Bekenntnis : Warum jetzt immer mehr Leute verraten, wen sie wählen

Das Wahlgeheimnis soll uns vor äußerem Druck und Nachteilen schützen. Trotzdem sprechen jetzt immer mehr Promis öffentlich darüber, welche Partei am 23.2. ihre Stimme bekommt. 

Moderatorin Sophia Thomalla tut es (CDU), ebenso "AnnenMayKantereit"-Sänger Henning May oder Judith Holofernes (Die Grünen), Podcaster Lars Tönsfeuerborn (SPD), "Die Prinzen"-Frontmann Sebastian Krumbiegel (Die Linke) oder Entertainer Wigald Boning (FDP). Plötzlich bekennen sich immer mehr Menschen öffentlich dazu, wen sie wählen und warum. Auch Influencer:innen nehmen Bekenntnis-Videos auf oder zeigen ihre Parteipräferenzen mit Herzen in der passenden Farbe. Dieses Commitment ist neu, zumindest in Deutschland. Woran liegt das?  

Und was ist eigentlich mit dem Wahlgeheimnis? 

Fest steht, dass unser politisches Klima schon lange nicht mehr so (populistisch) aufgeheizt war wie in diesem Jahr und noch dazu emotionale Wahlkampfthemen wie die Migrationspolitik, der Klimawandel und soziale Gerechtigkeit die Gemüter heftig erregen. 
In einer zunehmend vernetzten Welt ist es für viele deshalb gar nicht mehr so einfach, sich politisch neutral zu zeigen. Gerade von öffentlichen Persönlichkeiten erwarten immer mehr Menschen, dass sie zu Themen Stellung beziehen und Verantwortung übernehmen – insbesondere im Kampf gegen den erstarkenden Rechtsextremismus. 

Parteien-Bekenntnis kann bestraft werden 

Das bleibt allerdings nicht immer ohne Konsequenzen: Max Uthoff, Moderator der ZDF-Satiresendung "Die Anstalt", musste nach den Neutralitäts-Regeln seines Senders sechs Wochen im TV pausieren, nachdem er als "bildschirmprägender Protagonist" Wahlwerbung für die Linke gemacht hatte. Auch der öffentlich-rechtliche Journalist Jörg Thadeusz musste 2017 seine Sendung beim rbb aussetzen, weil er den "CDU-Tag" moderiert hatte.

Nach Ansicht des Satirikers Jan Böhmermann, der das Thema Promis und ihre Parteien-Bekenntnisse am Wochenende in seinem Podcast "Fest & Flauschig" aufgriff, sei es ein No-Go, als Gesicht eines Senders eine klare Wahlempfehlung auszusprechen. "Wenn man in der Unterhaltung arbeitet, dann hält man die Fresse", so Böhmermann. Auch hinterfragte er die Beweggründe vieler Promis: "Mal ganz ehrlich: Wie viele Leute beeinflusst du wirklich damit? Geht es nicht am Ende auch zum großen Teil darum, dass du dich einfach positionieren möchtest und vielleicht hoffst, dann bei der nächsten Gala mal eingeladen zu werden als Künstler?" Interessanter sei es, bei Sachthemen zu bleiben. Und die Idee hinter dem Wahlgeheimnis ist ja auch gut und richtig: Wählen, ohne äußeren Druck und ohne mit Nachteilen rechnen zu müssen, weil man in den Augen anderer Personen "falsch" gewählt hat. 

Mit politischen Posts erzielt man eine hohe Reichweite

Aber fest steht eben auch: Mit einem provokanten politischen Post hat man sofort eine hohe Reichweite! Zum Vergleich: Sophia Thomallas meinungsstarkes Bekenntnis zur CDU wurde kürzlich 39600 mal gelikt, ein Teaser für ihre Show "Are You the One?" nur 4,1 Tausend. Anna Sophie Kümpel, Professorin für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) betont aber, dass Millionen Follower sich nicht automatisch in Wähler:innenstimmen umrechnen lassen, zumal "ein 'Follow' nicht damit gleichzusetzen ist, dass mit einer Partei sympathisiert wird oder sie gar gewählt würde". Trotzdem gewinnen Online-Plattformen in der Politik zunehmend an Bedeutung. 

AfD auf TikTok: Welchen Einfluss hat Social Media auf die Wahl? 

"Social-Media-Plattformen ermöglichen es den Parteien, Wahlberechtigte direkt und interaktiv anzusprechen", so die Kommunikationswissenschaftlerin weiter. Immerhin würden 35 Prozent der 18- bis 24-jährigen Onliner soziale Medien wie Facebook oder Instagram als ihre Hauptnachrichtenquelle bezeichnen. Sie hätten daher, insbesondere bei Jüngeren, einen wachsenden Einfluss auf die Meinungsbildung. "Die AfD hat frühzeitig die Potenziale von TikTok erkannt und nutzt die Plattform insbesondere zur Ansprache junger Wahlberechtigter", sagt Prof. Dr. Kümpel. Bei TikTok seien kurze, visuell ansprechende Inhalte gefragt, die oft humorvoll oder emotional seien. "Politische Botschaften müssen hier schnell auf den Punkt kommen und kreativ verpackt sein – sonst wird weitergescrollt." Trotzdem stellt die Kommunikationswissenschaftlerin klar: "Social-Media-Plattformen prägen die Art des Wahlkampfs, aber nicht den Wahlausgang." 

Für viele, die öffentlich klare Kante, etwa gegen Rechts, zeigen, spielt sicherlich auch Selbstvergewisserung eine Rolle, indem man sich vor oder mit einer größeren Gruppe in den sozialen Medien gemein macht. Oder die eigene Bubble oder Fanbase gewissermaßen auf Homogenität überprüft, nach dem Motto: "Wenn ihr Partei XY wählt, möchte ich mit euch nichts zu tun haben" oder "Wer Partei XY unterstützt, hat auf unseren Konzerten nichts zu suchen".

Hollywoodstars schmeißen schon lange Wahlpartys

In den USA hat Promi-Unterstützung aus Hollywood im Wahlkampf übrigens seit jeher Tradition: So schmiss "Sex and the City"-Star Sarah Jessica Parker zusammen mit "Vogue"-Chefin Anna Wintour einst ein glamouröses Dinner zu Ehren von Barack Obama und drehte sogar ein Werbevideo: "Er ist der Typ, der den Irak-Krieg beendet hat, der sagt, dass du jeden heiraten darfst, den du möchtest, und der vier Millionen Jobs geschaffen hat", sagte sie darin. Auch Stars wie George Clooney, Julia Roberts, Reese Witherspoon und Cher halfen mit, Obamas Wahlkampfkasse zu füllen. Ob sie am Ende ihr Kreuzchen auch wirklich an der entsprechenden Stelle gemacht haben, wissen trotzdem nur sie selbst. 

Offenheit braucht starke Nerven 

So oder so gilt: Wer seine politische Einstellung öffentlich teilt, braucht in jedem Fall starke Nerven. Anfeindungen aus dem politischen Gegenlager sind vorprogrammiert und es ist damit zu rechnen, dass man sich immer wieder öffentlich rechtfertigen und Stellung beziehen muss. Kein Wunder also, dass es früher oft hieß: "Verrate bloß niemanden, wen du wählst. Das bringt nur Ärger." Die ältere Generation nimmt das Wahlgeheimnis bis heute ernster als Jüngere, die eher offen mit ihrer politischen Einstellung umgehen.  

Am Ende, wenn es wirklich drauf ankommt, ist sowieso jede:r für sich: In der Wahlkabine dürfen keine Foto- oder Videoaufnahmen gemacht werden. Ein AfD-Abgeordneter musste 2018 ein Ordnungsgeld von 1.000 Euro zahlen, weil er bei der Wahl der Bundeskanzlerin seinen Stimmzettel auf der Plattform "X" veröffentlicht hatte.