Kurzzeittherapie : "Bist du für mich da?"
Das Leben ist oft ganz schön kompliziert. Zum Glück müssen wir da nicht allein durch. Diesmal: Beziehungstherapeut Oskar Holzberg über unbewusste Bindungsverletzung.

Das Leben ist oft ganz schön kompliziert. Zum Glück müssen wir da nicht allein durch. Diesmal: Beziehungstherapeut Oskar Holzberg über unbewusste Bindungsverletzung.
Worum geht’s: Maike und Tom haben keinen Sex mehr miteinander. Und überhaupt stößt Tom immer wieder auf Ablehnung. "Was ist eigentlich los? Unser Sex war doch immer gut. Oder?", fragt er. "Ja", sagt Maike, "das ist es nicht. Ich weiß auch nicht, was los ist."
Fehlende Intimität? Daran könnte es liegen
Sie haben das Gefühl, dass sich, wie so oft, wenn es scheinbar um Sex geht, etwas anderes dahinter verbirgt. Finden sie keine Nähe, weil Tom mehr arbeitet, und er Maike unbewusst wie ihr ständig abwesender Vater vorkommt? Erinnern sie ihre zunehmend aggressiver werdenden Streitigkeiten an die bedrohlichen Kämpfe, unter denen sie in ihren Familien gelitten haben? Verhindern also alte Wunden aus Kindheit und Jugend ihre Intimität?
Wir haben sinnvollerweise gelernt, uns das in unseren Beziehungen zu fragen. Doch was in Liebesbeziehungen häufig viel nachhaltiger wirkt als das belastende familiäre Gefühlserbe, sind die Bindungsverletzungen aus unserer gegenwärtigen Beziehung. Die Paartherapie weiß, dass sich Beziehungen nicht wirklich verbessern, solange nicht geheilte Bindungsverletzungen im Paar wirken.
So entstehen Risse in der Bindung
Bindung beantwortet die einfache Frage: "Bist du für mich da?" Bindungsverletzungen geschehen, wenn die Antwort darauf "Nein" war. Wir brauchten die Unterstützung, den Halt der Partner:innen – und sie ließen uns allein. Es trifft uns besonders dann, wenn wir verletzlich sind. Wenn wir krank sind oder vor Prüfungen stehen. Wenn wir auf eine Diagnose warten, schwanger sind, trauern oder einen Unfall hatten. Aber auch, sobald unsere Partner:innen ihre Versprechen nicht halten oder uns betrügen.
Affären erkennen wir fast immer als Bindungsverletzung, die Wirkung einer vorübergehenden Trennung unterschätzen wir häufig. Tom war für ein paar Tage ausgezogen, weil er an ihrer Beziehung gezweifelt hatte. Sie hatten schnell wieder zueinandergefunden. Doch Maike blieb tief verunsichert, ohne es sich einzugestehen. Manchmal reicht schon ein Satz wie "An meine große Liebe wirst du nie herankommen!", um Nähe und eine sichere Bindung zu verhindern. Wir sollten lernen, Bindungsverletzungen zu erkennen und den entstandenen Riss zu heilen. Dafür darf die Verletzung niemals kleingeredet oder relativiert werden. Jede Bindungsverletzung ist eine ganz fundamentale und überaus schmerzhafte Erfahrung.
Und was nun?
Wer die Bindung verletzt hat, muss die volle Verantwortung für sein Handeln übernehmen. Die Verletzten wollen erst mal keine Erklärungen, keine Gründe, schon gar keine Ausflüchte hören. Sie möchten sich verstanden fühlen und wollen dabei nicht auch schon den anderen verstehen müssen. Sie möchten fühlen, dass ihr Schmerz ihre Partner:innen schmerzt. Das allein gibt ihnen wieder Sicherheit. Dann können sie langsam wieder vertrauen und vergeben. Und die Bindungsverletzung kann heilen.