Burnout-Gefahr: Warum Frauen in diesem Alter besonders gefährdet für einen Burnout sind

Frauen rutschen häufiger in einen Burnout als Männer. Vor allem in mittleren Altern häufen sich die Fälle. Zwei Expertinnen über falsche Vorbilder, fehlende Selbstfürsorge und den Einfluss der Hormone.

Feb 14, 2025 - 16:21
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Burnout-Gefahr: Warum Frauen in diesem Alter besonders gefährdet für einen Burnout sind

Frauen rutschen häufiger in einen Burnout als Männer. Vor allem in mittleren Altern häufen sich die Fälle. Zwei Expertinnen über falsche Vorbilder, fehlende Selbstfürsorge und den Einfluss der Hormone.

Es sind Macherinnen, richtige "Checkerinnen“, wie Sonja Hradetzky sie nennt, die da vor ihr sitzen und die Welt nicht mehr verstehen. Als Coach und psychologische Beraterin sieht sie täglich vielbeschäftigte Frauen, die in der Reha-Klinik nach einem Burnout zurück in den Job wollen. "Viele davon zu schnell", sagt die Expertin. Es sind Frauen der Generation "Ich schaffs allein" und "So schlimm ist es noch nicht". Sie bringt dazu noch ein weiteres Label mit ins Spiel: "Ich bin nicht gut genug".

In der Lebensmitte funkt der Körper plötzlich SOS

Im Gespräch mit BRIGITTE.de erklärt Sonja Hradetzky, dass Frauen ganz häufig um die 50 sind – also mitten im Leben stehen –, wenn sie "ausbrennen". Sicher, auch Männer erleiden einen Burnout, doch laut Robert Koch-Institut (RKI) sind Frauen mit 5,2 Prozent tatsächlich häufiger betroffen als Männer (3,3 Prozent). Über die Gründe dieses Geschlechterunterschieds kann man nur spekulieren, weil spezielle wissenschaftliche Untersuchungen dazu bislang fehlen. Aber es können einige Faktoren zur Erklärung beitragen.

Wenn die Leistungsbereitschaft übers Ziel hinausschießt

Zwar gilt das Burnout-Syndrom nicht als eigenes Krankheitsbild, die Folge von beruflichem Stress führt aber häufig zu langen Krankschreibungen. Denn die Beschwerden erhöhen das Depressionsrisiko. Einen Burnout mit einer Depression gleichzusetzen, wäre dennoch falsch – auch wenn die typischen Burnout-Symptome, wie die starke Niedergeschlagenheit und Erschöpfung, eine Abnahme der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit, auch bei einer Depression auftreten können. 

Der Begriff Burnout stammt aus den 1970er Jahren. Ein US-amerikanischer Psychotherapeut nutzte das Bildnis des "Ausgebranntseins" dafür, was er in heilenden, helfenden Berufen beobachtete, zum Beispiel bei Ärzt:innen oder Pflegekräften: Sie fühlten sich erschöpft, überfordert, lustlos. Bei den Betroffenen erkannte er neben der starken beruflichen Belastung häufig eine übermäßige Opferbereitschaft und sehr hohe eigene Ansprüche und Ideale.

Heute gilt diese Eingrenzung auf bestimmte Berufsgruppen längst nicht mehr. Sonja Hradetzky kann allerdings aus dem Arbeitsalltag bestätigen, dass viele ihrer Klientinnen ausgesprochen perfektionistisch sind, gleichzeitig von Selbstzweifeln geplagt, vom Gefühl nicht zu genügen und vom ständigen Antrieb, es immer und allen recht zu machen.

Warum wir Frauen, warum gerade jetzt?

"Die Frauen, die in den Burnout schlittern, können einfach nicht aufhören zu leisten. Sie sind meist top im Job und selbst wenn sie es schaffen, pünktlich Feierabend zu machen, geht es zu Hause weiter. Dann übernehmen sie die Haus- und Care-Arbeit, kümmern sich vielleicht um die Eltern und sogar um die Schwiegereltern", erzählt die Fachfrau. Sie ziehen diese Verantwortung förmlich an sich, fühlen ihre Leistung aber nicht gesehen. Die Folge: Der Stresslevel steigt, die Erschöpfung nimmt zu, kein Ende in Sicht – logisch, dass irgendwann Körper und/oder Seele die Reißleine ziehen. Genau diese Mehrfachbelastungen erhöhen das Risiko, in einen Burnout zu rutschen.

Hinzu kommt, dass eher Frauen als Männer dazu neigen, ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustellen, um diese eigenen Erwartungen an sich selbst zu erfüllen. Wenn sie ihre Bedürfnisse überhaupt wahrnehmen. Sonja Hradetzky beobachtet in ihrer Tätigkeit mit Betroffenen, dass sich diese Frauen die Bestätigung häufig über die Anerkennung im Außen holen, dass sie emotional regelrecht abhängig von dieser Bestätigung wirkten. Sich Hilfe zu holen, bedeutet für sie Zeichen von Schwäche. "Dabei ist es die höchste Form der Selbstfürsorge", betont sie.

"Stell dich jetzt mal nicht so an"

Viele dieser Frauen sind mit Vorbildern aufgewachsen, die ihnen genau das vermittelten: bloß nicht jammern, sich nicht 'anstellen'. Sie haben es nicht gelernt, gut für sich zu sorgen, weil das als selbstsüchtig abgestempelt werden könnte. "Müßiggang ist aller Laster Anfang" – dieser Spruch geisterte in vielen Familien dieser Generation herum.

Erzogen wurden sie häufig von Müttern, die noch Kriegserinnerungen in sich trugen und sich ebenfalls keine Schwächen leisten durften. Die Bedürfnisse eines Kindes können so gar nicht wahrgenommen oder gesehen werden. Laut Hradetzky hat die erwachsene Frau dann verinnerlicht: "Das, was ich will, ist nicht wichtig." Und so ackert und schuftet sie auf der Suche nach Anerkennung – über alle gesunden Grenzen hinweg.

Der Tanz der Hormone

Eine andere Erklärung geht in die körperliche, biochemische Richtung und wird noch viel zu häufig ignoriert: Frauen in dem Alter ab Mitte 40 müssen mit einem veränderten Hormonstatus zurechtkommen. In der Perimenopause, der Phase unmittelbar vor und nach der letzten Regelblutung, herrscht ein großes Hormonchaos. Die Werte schwanken enorm, was die typischen Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche oder Schlafstörungen hervorrufen kann. Weniger bekannt ist, dass auch eine ungewohnte Dünnhäutigkeit oder Reizbarkeit, mangelnde Konzentrationsfähigkeit, zunehmende Erschöpfung, sogar Wortfindungsstörungen für eine gewisse Zeit eine natürliche Folge sein können.

Vor allem in der Frühphase ahnen die Frauen nicht, dass bei ihnen die Hormonumstellung schon langsam begonnen hat und kämen nie auf den Gedanken, ihre Symptome darauf zurückzuführen. Dr. Katrin Schaudig, Gynäkologin und Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft, berichtet im BRIGITTE-Podcast Meno an Mich von Frauen, die bei ihr in der Praxis sitzen und denken, sie funktionierten nicht mehr richtig, weil sie es nicht schaffen ihren Alltag zu meistern. "Sie sind seit ein, zwei, drei Jahren nicht mehr so gut drauf und zunehmend leistungseingeschränkt. Dann haben sie vielleicht Dramen in der Familie, in der Partnerschaft, im Job", zählt die Fachärztin auf. "Diese Frauen hatten aber immer schon viel Stress mit Kindern, Beruf und Multitasking – nur plötzlich funktioniert es nicht mehr, plötzlich kommen sie nicht mehr klar." Das weise auf einen hormonellen Einfluss hin.

Auch Dr. Schaudig beobachtet, dass diese Frauen häufig den Impuls hätten, das Thema von sich zu schieben, als hätte es nichts mit ihnen zu tun – bis es wirklich nicht mehr ginge. "Viele gehen dann auf Teilzeit oder sogar in den Vorruhestand, weil ihnen keiner erklärt, was mit ihnen los sein könnte", sagt die Gynäkologin. Denn auch Ärzt:innen, seien es Allgemeinmediziner:innen, Orthopäd:innen oder auch Psycholog:innen, die die Frauen wegen ihrer Beschwerden aufsuchen, haben den Zusammenhang mit den Wechseljahren häufig nicht auf dem Schirm.

Vom To-do zum To-be kommen

Zwar lassen sich aus den Beobachtungen von Fachleuten wie Sonja Hradetzky, Dr. Katrin Schaudig und vielen anderen durchaus Rückschlüsse ziehen. Doch jede Frau ist anders, jeder Fall ist anders. Manche Frauen profitieren von einer Hormontherapie, jedoch längst nicht alle. Der einen hilft es, beruflich kürzer zu treten, um zur Ruhe zu kommen. Für andere ist eine Pause oder Meditation genau das Falsche. Häufig braucht es eine psychologische Beratung oder sogar eine Psychotherapie, um die alten Muster zu erkennen und durch neue ersetzen zu können. Denn wieder zu sich selbst zu finden und den Weg aus der Erschöpfung und der alten Routine zu gehen, ist alleine oft schwierig.

In ihren Coachings hat Sonja Hradetzky es immer wieder mit Frauen zu tun, die sich durch ihre vielen To-dos von sich selbst ablenken. Deren Aufgabe ist es, vom To-do zum to-be zu kommen", betont sie. "Mit der Einsicht ist der erste Schritt getan. Wenn die Frau merkt, dass es so nicht weitergeht", erklärt die Coachin. In ihrer Arbeit hilft sie den Frauen, ihre Bedürfnisse wieder zu entdecken und die Balance zwischen den beruflichen Herausforderungen und ihrem Frausein zu finden.

Im zweiten Schritt kann dann an der Selbstfürsorge gearbeitet werden. Arbeit ist hier der passende Begriff, denn: "Vom Podcasthören oder Lesen von Ratgebern allein wird’s nicht besser. Veränderung kommt durchs Tun!", sagt Hradetzky. Daran scheitere es oft. Sie empfiehlt daher, sich eine Selbstfürsorge-Routine einzurichten. Dafür gibt es Techniken, die man zum Beispiel in einem Coaching oder einer Therapie lernen kann. Lieber täglich fünf Minuten "trainieren" als nur selten mal eine Stude Wohlfühlprogramm, wie eine Massage oder einen Spa-Besuch. Das darf gerne on top dazukommen. "Aber die kleinen Dinge, die man sich schenkt, sind wichtiger."

Teaser Artikel paco linklist Raus aus dem Stress

Vielleicht sind es die Wechseljahre

Manchen Frauen bringt jedoch erst eine Hormonersatztherapie die ersehnte Linderung. Dr. Schaudig stellt im Podcast sogar die steile These auf, dass 80 Prozent der Frauen mit Burnout die Reha-Klinik verlassen könnten, wenn nur ihr Hormonstatus richtig ausgeglichen würde. Diese Zahl ist ein subjektiver Eindruck, wissenschaftliche Belege liegen dafür nicht vor. Aber häufig sind die Frauen so erschöpft, weil sie einfach schlecht schlafen – und das über Monate. Auch steigt um die Menopause herum das Risiko, erstmals eine schwere depressive Episode zu bekommen, um das Dreifache an. Der direkte Zusammenhang wurde kürzlich in einer Studie an der Cardiff University in Großbritannien aufgedeckt.

Hinzu kommt, dass gerade in dieser Lebensphase einer Frau Ereignisse vorkommen können, die zusätzlich emotionalen Stress bedeuten und diffuse Beschwerden auslösen. Vielleicht kommt die eigene Tochter gerade in die Pubertät oder die Kinder verlassen das Elternhaus, die Eltern werden pflegebedürftig, möglicherweise geht die Ehe in die Brüche.

Der ganzheitliche Blick ist gefragt

Nur selten steckt hinter einer Krise nur ein einziger Auslöser. So liegt die Lösung auch meist in einer individuellen Mischung aus Selbsterkenntnis, Selbstfürsorge, Medikamenten, psychologischer und gynäkologischer Betreuung. Die Hilfe kommt in vielerlei Gestalt daher, von Achtsamkeit, Hypnose, Yoga, Akupunktur, Gesprächs- oder Verhaltenstherapie, pflanzlichen Mitteln bis hin zu Hormontherapie oder auch Psychopharmaka.

Manche Frauen brauchen mehr von dem einen, manche eher die richtige Dosis des anderen. Was sie alle gleichermaßen verdient haben: ernstgenommen zu werden – von ihrem Umfeld und vor allem auch von sich selbst.